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„Die Geister, die ich rief...“

In der Abtreibungsfrage hätten sich die US-Konservativen besser an die Maxime „Wecke keine schlafenden Riesen“ gehalten / Wer im Kongreß oder in den Bundesstaaten der USA die Abtreibungsfreiheit beschränken will, riskiert mittlerweile die politische Karriere  ■  Aus Washington Silvia Sanides

Als das Oberste Gericht in Washington im Juli entschied, die Abtreibungsfreiheit in den USA einzuschränken, habe es „einen schlafenden Riesen“ geweckt. Dies bemerkte kürzlich mit einiger Genugtuung - die demokratische Kongreßabgeordnete aus Kalifornien, Barbara Boxer. Boxer, die den Kampf für Abtreibungsfreiheit im Repräsentantenhaus führt, hatte gerade einen entscheidenden Sieg errungen. Ihre Mit-Parlamentarier hatten sich entschieden, armen Frauen nach Inzest oder Vergewaltigungen die Abtreibung mit öffentlichen Mitteln zu finanzieren. Diese waren 1981 Ronald Reagans Budget-Kürzungen zum Opfer gefallen.

Acht Jahre lang hatten sich die Abgeordneten brav wie ein Schoßhündchen an die Weisungen Reagans gehalten und die Mittel nicht wieder neu bewilligt. Daß der Kongreß jetzt seine Gesinnung wandelte und armen Frauen die Möglichkeit geben will, nach Vergewaltigungen oder Inzest abzutreiben, ist nicht etwa dem neuen Herrn im Weißen Haus zu verdanken. Bush will öffentliche Finanzierung von Abtreibungen wie bisher nur dann zulassen, wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist. Gegen die Neubewilligung der Mittel bei Vergewaltigung und Inzest legte er prompt ein Veto ein. Und gegen das brachte der Kongreß keine 2/3-Mehrheit auf.

Zum Umdenken - sowohl im Kongreß wie auch in den einzelnen Bundesstaaten - zwingt dieser Tage die WählerInnenschaft, die ihre Repräsentanten mit zunehmender Militanz wissen läßt, daß sie nicht gewillt ist, die seit 1973 bestehende Abtreibungsfreiheit aufzugeben. Politiker, die ihre Ansichten zur Abtreibungsfreiheit bisher für sich halten konnten, müssen nun bekennen, wo sie stehen und die Konsequenzen können hart sein: Als der Gouverneur von Florida eine Sondersitzung des Staatsparlaments einberief, um neue Gesetze zur Einschränkung der Abtreibungsfreiheit zu verabschieden, lehnte das Parlament innerhalb von drei Tagen sämtliche Gesetzesvorschläge ab.

Schlappe in Florida

Für Gouverneur Bob Martinez, einem lautstarken Abtreibungsgegner, ist das die schlimmste Niederlage in seiner politischen Karriere. Der demokratische Vorsitzende des Staatsparlaments dazu: „Wenn es für Politiker in diesem Land ein weises Wort zur Abtreibung gibt, dann dieses: laßt die Finger davon.“

Diesen Rat zu beherzigen versäumte zum Beispiel Marshall Coleman, republikanischer Kandidat für den Gouverneursposten im Bundesstaat Virginia. Coleman, ein Gegner der Abtreibungsfreiheit, steckte in einer Fernsehdebatte mit seinem demokratischen Widersacher Douglas Wilder denn auch eine schwere Schlappe ein. Wilder, der Abtreibungsfreiheit befürwortet, hatte mit Geschick das Gespräch immer wieder auf die Abtreibungsfrage gelenkt. Umfragen am nächsten Tag ergaben, daß Spitzenreiter Coleman gegenüber Wilder weit ins Hintertreffen geraten war. Die Abtreibung scheint „Ihr einziges politisches Interesse“ zu sein, hatte Coleman seinen Gegner während der Debatte angegiftet. Für viele Wähler/innen in Virginia ist in der Tat die Abtreibungsfreiheit die wichtigste Frage im Kampf um den Gouverneurssitz. Jean Dursee zum Beispiel, 57 Jahre alt , erfolgreiche Verlagsleiterin, ist Republikanerin. Diesmal jedoch wird sie für Wilder stimmen - wegen der Abtreibungsfrage. „Soweit es mich betrifft“, meint Dursee, die sich als „klassische, konservative Republikanerin“ bezeichnet, „gibt es in diesem Wahlkampf kein anderes politisches Anliegen als die Abtreibungsfreiheit.“ Sie wird bei den Wahlen im November nicht nur ins Lager der feindlichen Partei überwechseln, sondern arbeitet als Freiwillige für eine Frauenorganisation, die gegen Coleman aufruft.

Besonders pikant sind die Verhältnisse in Virginia, weil Wilder schwarz ist. „Die Rassenfrage ist dank der Abtreibungsfrage total in den Hintergrund geraten“, stellt Dursee fest. Gewinnt Wilder die Wahl im November, dann wird er der erste schwarze Gouverneur in der amerikanischen Geschichte. Die Entwicklungen in Florida und Virginia haben andere Politiker das Fürchten gelehrt. Zur Enttäuschung der AbtreibungsgegnerInnen werden die Staatsparlamente von Texas und Illinois nicht wie geplant zu Sondersitzungen zusammentreten, um Gesetze zur Einschränkung der Abtreibungsfreiheit zu diskutieren.

Plötzliche Gesinnungsänderungen scheinen den Politikern keine großen Schwierigkeiten zu bereiten. Robert Shelley, Republikaner und bisher strenger Abtreibungsgegner im Staatsparlament von Florida gestand ganz freimütig: „Ich war und bin gegen Abtreibungsfreiheit. Aber eine bisher schweigende Mehrheit ist dafür. Ich wäre ein Idiot, wenn ich mich nicht nach meinen Wählern richten würde“.

Nicht allen Politikern allerdings fällt es so leicht, auf diese Weise den Weg durchs Hintertürchen anzutreten. Für Präsident Bush zum Beispiel sind nach seinem Veto alle Fluchtwege verschlossen. Er bleibt bei seinem Standpunkt, daß Abtreibungen durch einen Verfassungszusatz verboten werden sollten. Daß Bush mit seiner Sturheit ein Eigentor geschossen hat, steht dieser Tage sogar in den Leitartikeln der einflußreichsten amerikanischen Zeitungen zu lesen. Der Präsident, so die 'Washington Post‘, sägt am eigenen Ast. Und die 'New York Times‘ bemerkte, Bush habe seinen Gegnern endlich ein erfolgversprechendes Wahlkampfthema geliefert.

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