: Zum Weglaufen schön
■ Die Pat Metheny Group ist auf Tournee
Mit neunzehn spielte er in der Band des Vibraphonisten Gary Burton, drei Jahre danach nahm er sein erstes Album unter eigenem Namen auf. Der amerikanische Gitarrist Pat Metheny war das verhätschelte Wunderkind des Jazz der ausgehenden siebziger Jahre. Taufrisch durchbrach er das herrschende Diktat der Jazz-Rock-Fürsten, denen nur noch an der Demonstration ihrer Fingerfertigkeit gelegen war.
Metheny schmuggelte sich in die Herzen einer stetig anwachsenden Fan-Gemeinde, fast jedes Jahr unternahm er eine Europatournee, und die Säle wurden kontinuierlich größer. Nichts schien seine innovative Kraft bändigen zu können. Kaum daß sein Publikum ihn einer bestimmten Schublade der Jazzkunde zugeordnet hatte, verblüffte er mit Soloprojekten wie dem Album 80/81, auf dem er mit Charlie Haden und Jack DeJohnette an tradierte Jazzstandarts anknüpfte. Plötzlich hielt man Metheny für einen ernstzunehmenden Bebop -Jazzer. Diese Hoffnung machte er postwendend mit dem verschroben-sphärischen Konzeptalbum As Falls Wichita, So Falls Wichita Falls zunichte.
Dann kehrte für einige Jahre Ruhe in in die Fangemeinde, die ihrem jungen Helden inzwischen fast jede Eskapade verzieh, Hauptsache die eingängigen Harmonien blieben nicht auf der Strecke.
1985 kam der Schock, den ihm einige seiner Anhänger nicht verziehen. Pat Metheny kollaborierte mit David Bowie. This Is Not America - shana nana na hieß der Song. Eine enttäuschten Jazzreporter erklärte Metheny damals ernsthaft, das Liedchen sei Amerika-kritisch. Heute sagt er: „Wenn du versuchst herauszubekommen, was die Leute wollen, wirst du immer alles falsch machen. Du mußt spielen, woran du glaubst.“ Und das kann Metheny am besten live auf der Bühne.
Auf dem Rücken die Halbakustische, in den Händen die abgegriffene akustische Gitarre, steht er vor seiner Band. Den Kopf nach links geneigt, lächelt er abwechselnd in die Saiten und ins Publikum. Er ist in seinem Element. Er nimmt die Gitarre nicht einfach in die Hand, er behandelt sie mit fast zärtlicher Ergebung. Sogar für den mit roten Lämpchen ausstaffierten Gitarrensynthesizer scheint er Zuneigung zu empfinden, obwohl dieses High-Tech-Produkt vorwiegend pfeifend verfremdete Hochtöne produziert, die eher vom Keyboarder oder einem digital aufgezeichneten Wasserkesselzischen stammen könnten.
Warum der argentinische Sänger und Triangulist Pedro Aznar Methenys Gitarrenmelodien unisono mitsingt, bleibt schleierhaft. Vielleicht soll dem Publikum damit verdeutlicht werden, daß sich die neuen Songs der Band hervorragend zum Mitmachen eignen. Alles groovt, alles swingt, eine schöne Fahrt. Der Rhythmus, südamerikanisch angehaucht, schleppt sich träge dahin, hier ein bißchen Percussion vom Brasilianer Armando Marcal, dort ein Quentchen Bossa Nova, in der hinteren Ecke immer noch Gesangsexperimente, jetzt a la Milton Nascimento, dem brasilianischen Sänger, den Metheny so lange verehrte, bis er endlich bei einer seiner Platten mitwirken durfte.
Metheny gefällt das alles, er kann nach Herzenslust seinen Gitarren- und Melodienwald durchforsten, von dieser Band pfuscht ihm niemand dazwischen. Alle liefern brav den Soundtrack zu Methenys Traum vom privaten Jazzglück ab. Alle sind happy, es ist zum Weglaufen schön. Das Publikum verlangt nach immer mehr, will Balsam für all die Pein, die ihm sonst bei Jazzkonzerten durch freie Improvisation und individuelles Spiel zugemutet wird. Man geht zu Pat, um sich zu erholen, um zu entspannen, und es ist immer noch spannender als im Solarium. Kein Mensch will von ihm Jazz hören. Als Metheny zwischendrin ein Stück in Anlehnung an Ornette Coleman spielt, mit dem er 1986 eine Platte aufnahm, schwinden sofort die Aufmerksamkeit und der Applaus des Publikums.
Andreas Becker
On Tour:
30.10 Mannheim, 1.11. Frankfurt, 2.11. Hamburg, 4.11. Freiburg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen