piwik no script img

Ogun, Omulu und Jesus

■ Der brasilianische Candomble-Trommler Gabi Guedes über seine Religion, Deutschland und David Byrnes Brasilien-Film

Andreas Weiser

Als 1538 die ersten versklavten Afrikaner in Salvador/Bahia brasilianischen Boden betraten, hatten sie zwar für immer ihre afrikanische Heimat, nicht aber ihre Götter verloren. Die waren mitgekommen, ihre Kinder zu beschützen, ihnen Kraft, Ausdauer und Widerstandsfähigkeit zu geben. Ohne den Beistand ihrer Götter hätten die verschleppten Kinder Afrikas die Peitschen auf ihren Rücken und die Ketten an ihren Gliedern nicht überlebt. Iemanja, die Meeresgöttin, hatte sie heil in den Höllenbäuchen der portugiesischen Schiffe über die Meere gebracht. Ogun, der Gott des Krieges, half ihnen, sich gegen ihre Unterdrücker zu wehren, Omulu, Gott der Krankheiten, heilt ihre geschundenen Körper, Ossane zeigte ihnen die Heilkraft der Pflanzen des Waldes. Ein Wissen, das sie ihren weißen Unterdrückern überlegen machte.

Die Portugiesen verboten die Götter und versuchten sie mit ihrem barmherzigen Jesus Christus zu ersetzen. Doch in ihm und all den katholischen Heiligen, die sie nach Bahia beziehungsweise nach Brasilien gebracht hatten, erwachten die afrikanischen Götter zu neuem Leben. Sie versteckten sich in den weißen Heiligen, nahmen deren Gestalt an, blieben ihrer afrikanischen Herkunft und ihren Ritualen aber treu. Fortan erbaten die schwarzen Sklaven Hilfe vom heiligen Georg, dem Drachentöter, meinten aber ihren Ogun oder machten ein Fest zu Ehren Jesu Christi, feierten aber tatsächlich für Oxala.

Candomble, die tradiditionellste Variante des afrobrasilianischen Synkretismus, war entstanden.

Auch heute noch ist Salvador/Bahia Zentrum dieser afrobrasilianischen Religion. 365 katholische Kirchen, aber weit über tausend Terreiros (Kultstätten des Candomble) beherbergt die Millionenstadt Salvador. Viele Bahianer bekennen sich zum Candomble und praktizieren seine Rituale. Candomble hat auch eine wachsende Anziehungskraft auf die Intellektuellen Brasiliens. Viele Musiker und Künstler gehören zu einem Terreiro, sind Mitglieder einer der vielen Canomble-Gemeinden.

Gabi Guedes, 27 Jahre alt, ist einer von ihnen. Aufgewachsen in einem der ältesten und berühmtesten Terreiros ganz Brasiliens, dem Terreiro Gantois der Candomble-Priesterin Mae Menininha, einer der Leitfiguren dieser Religion. Von ihr erfuhr Gabi, welche Götter und welche ihrer Eigenschaften ihn bestimmen. In die Sprache unserer Kultur übersetzt, heißt das, welche psychischen Eigenschaften ein Individuum aufweist, welche psychischen Kräfte es lenken. Viele Mae und Pae de Santos (Mütter und Väter der Götter) sind hervorragende Experten auf dem Gebiet psychischer Prozesse. Bereits mit fünf fing Gabi an zu trommeln, die Rhythmen, Lieder und Tänze der Götter zu lernen. Bald spielte er als Oga (Trommler der Candomble -Zeremonien) eine der drei Trommeln, die während der Zeremonien die Götter rufen. Er beherrscht die Rhythmuskultur des Candomble wie kaum ein anderer und ist mittlerweile einer der gefragtesten Perkussionisten Bahias.

Letzte Woche war er zusammen mit dem Candomble-Ensemble Alabe aus Salvador/Bahia im Rahmen der Perkussionale zweimal im „Haus der Kulturen der Welt“ zu sehen. Alabe das sind neben Gabi Guedes die Trommler Ori Sacramanto und Toninho Guedes sowie die Tänzerin Rosangela Silvestre.

Die Konzerte waren voll, das Publikum begeistert. Aber die meisten werden nicht verstanden haben, worum es im Candomble eigentlich geht. Gabi, der mittlerweile schon seit fünf Monaten in Europas lebt (er pendelt zwischen Österreich und Deutschland hin und her), betrachtet solche Veranstaltungen unter rein professionellen Gesichtspunkten. Er gibt ein Konzert, die Leute freuen sich, that's it. Als religiöser Botschafter sieht er sich nicht. Eigentlich will er solche „Folklore“ gar nicht mehr machen. Er ist Musiker. Seine Religion ist seine Privatsache. Gerade weil er tiefen Respekt vor seinen Göttern hat, möchte er sie nicht vermarktet sehen. So war für ihn der Berliner Candomble -Abend im Völkerkundemuseum ein ganz normales Konzert.

Aus ähnlichen Motiven stößt auch der Candomble-Film David Byrnes Ile Ayje, der kürzlich in deutschen Programmkinos zu sehen war, auf Ablehnung. Es verletzt ihn, daß dort in „Medien“ inkarnierte, tanzende Götter gezeigt werden und dazu Musik gemischt wurde, die aus dem Karneval stammt und mit dem bildlichen Geschehen überhaupt nichts zu tun hat. Und dabei kennt er Byrne persönlich. Als der nämlich Anfang dieses Jahres in Bahia weilte, um diesen Streifen über Candomble zu drehen, wurde Gabi zu einigen Studiosessions mit David Byrne eingeladen. Was mit der Musik, die dabei entstand, gemacht wurde, weiß Gabi bis heute nicht. Vielleicht ist einiges davon auf Byrns gerade erschienener Platte Rei Momo zu hören. Gabi wußte damals nicht, daß Byrne einen Film über Candomble dreht. Der „Talking Head“ war offensichtlich nicht besonders gesprächig. Für Gabi Guedes ist der Byrne-Streifen eine kommerzielle Beleidigung seiner Religion. „Die Leute“, sagt er, „saßen im Kino und haben von dem, was sie sahen, nichts verstanden. Sie haben an Stellen gelacht, wo es wirklich nichts zu lachen gibt. Für die war Candomble Karneval mit viel Schnaps und Karnevalsmusik.“

Seine afrobrasilianischen Götter haben in unserer Welt nichts verloren. Es gibt keine geheiligte Erde, keine Kultstätten, wo sie gerufen werden können. Manchmal versucht Gabi nachts, wenn er alleine ist, mit ihnen zu reden, Kontakt zu ihnen aufzunehmen. „Vielleicht sind sie in meinem Herzen.“ Gabi braucht seine Götter, die ihm, wie er sagt, schon oft geholfen haben, ihm Kraft gaben. Für ihn ist daher klar, daß er eines Tages nach Brasilien zurückkehren wird.

Was ihn nach fünf Monaten Deutschland am meisten stört, ist der Mangel an Kommunikation. „Die Leute hier sprechen kaum miteinander, und wenn tatsächlich mal Kontakt entsteht, dann schauen sie sich dabei nicht an. Wenn jemand mit dir redet, glotzt er zum Horizont, aber mit Sicherheit nicht in deine Augen. Die Leute hier haben alles, dicke Autos, Geld, Stereoanlagen, Bücher, gut zu essen, was weiß ich, aber glücklich scheint hier kaum jemand zu sein. In Brasilien gibt es Armut über Armut, und trotzdem besitzen die Brasilianer eine ausgeprägte Fähigkeit, Glück zu empfinden. Daß das hier so ist, hat bestimmt auch etwas mit fehlender Spiritualität zu tun. Man nimmt hier die Bedürfnisse der Seele einfach nicht ernst. Geh in die U-Bahn. Was siehst du da? Taube, freudlose Gesichter. Schweigen. Deswegen fahre ich nicht mit der U-Bahn, ich halte das nicht aus. Ich nehme lieber das Fahrrad. In Brasilien kannst du im Bus immer ein Gespräch anfangen, wenn du willst, aber hier...“

Er sei nicht wie viele seiner Landsleute des Geldes wegen, sondern aus Neugier hierher gekommen. Wie zum Beispiel die Musikszene hier ist, wollte er wissen. In dieser Beziehung ist Deutschland für ihn ein von den Amerikanern kolonisiertes Land. Im Radio hört er nur amerikanische Popmusik. Viele Musiker, die er kennt, spielen Musiken aus anderen Kulturen nach, anstatt sich auf sich selbst zu konzentrieren, so Gabi. Lambada, eine Mode, die in Brasilien schon nach einem Monat wieder aus dem Radio verschwunden war, ist hier der große exotische, erotische Renner. Er versteht das nicht.

Bisher hat er sich an unser Klima nicht gewöhnen können. Weder an das emotionale noch an das meteorologische. Ihm fehlt die Sonne und das Meer Bahias, die bahianischen Frauen und die bahianische Lebensweise. Die gewisse Leichtigkeit im Umgang miteinander. Ihm fehlt sein Terreiro. Aber ob er nach seiner Rückkehr in seine Heimt nicht plötzlich auch die Schattenseiten seiner sonnigen Heimat mit neuen und kritischeren Augen sehen wird, das wissen bisher nur die Götter.

Am Samstag, den 4. November wird Gabi Guedes zusammen mit der Formation „Die Elefanten“ im Berliner Quasimodo zu sehen sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen