SHOWCASES IN MEDIA ROOM

■ Die Berlin Independent Days in Organisationswut

Man kann den Berlin Independent Days (BID) noch so wohl gesonnen sein, kann sich die Medienschelte ihres Generalmanagers Doebeling zu Herzen nehmen und, bitte schön, nicht alles so negativ sehen, es hilft nichts. Die Veranstalter haben es innerhalb ihrer nur einjährigen Geschichte geschafft, perfide Organisationsformen zu entwickeln, die jeden Bonus schnell aufbrauchen.

Alle schriftlichen Informationen werden der Einfachheit halber auf Englisch gegeben. Da kann man special thanks verteilen, ein headquarter errichten, fröhlich badges verteilen und im media room die registration vornehmen. Herrlich die Weltoffenheit, die hier durchscheint (oder is es gar multikulturell? sezza). Die Anglomanie geht soweit, den Preis für die einfache Rumlatsch-Karte (walk-up registration) - immerhin 50 Mark für Medienhuren und 150 Mark für Normalbürger - netto zu berechnen. Wie in einer amerikanischen Frittenbude, wird auf sämtliche Preise zusätzlich noch 14 Prozent Mehrwertsteuer erhoben.

Weil die BID so arm ist, gibt es für jeden Halter der Karte höchstens zwei tickets für die abendlichen showcases, und diese auch nur zeitlich versetzt, ein Früh- und ein Spätkonzertbesuch sind erlaubt, aber ja nicht in Begleitung. Am ticket counter darf man sich jeden Tag neu anstellen, um seine täglichen Karten abzuholen.

Daß die BID ein Verein armer Schlucker ist, die ihr Elend gern mit Champagner runterspülen, wissen wir bereits seit letztem Jahr. Daß in Berlin alles immer dreimal so groß gemacht wird, wie es in Wirklichkeit aussieht, ist auch bekannt. Bei der BID '89 hat man es fertiggebracht, auch noch die Musikklubs der Stadt mit in den Strudel zu ziehen. Neun Klubs dürfen gegeneinander konkurrieren, bekommen die zu hohen Eintrittspreise für unbekannte Gruppen diktiert und machen jeden Abend, wie das Quasimodo nach eigener Aussage, einige tausend Mark Verlust.

Das wäre für einige noch hinzunehmen, wenn ihnen wenigstens vorher mitgeteilt worden wäre, daß über der BID der Pleitegeier kreist, und die BID-Organisatoren nach außen nicht so täten, als fänden die Konzerte auf ihr Risiko statt. Das finanzielle Risiko tragen die Klubs, auch die selber am Hungertuch nagenden wie das Blockshock oder Ecstasy, völlig allein. Aber das ließe sich auf Englisch vielleicht nicht so salopp ausdrücken und fand deshalb nicht den Weg in das dicke Info der BID. „Bankrott“ ist eines der wenigen deutschen Worte, das wie Autobahn und Kindergarten ins Amerikanische eingeflossen ist.

Schaut man sich in der zur Messehalle umfunktionierten Kongreßhalle an den Ständen der Plattenfirmen um, fällt auf, daß zwar eine Menge skurriler Kleinstlabels vertreten ist, die „independent“ von Gut und Böse arbeiten. Was aber im Vergleich zum letzten Jahr fehlt, sind die großen Kleinen, die „Major Indies“, die Vertriebe EfA und SPV, das Tanzlabel BCM und eine Berliner Institution - der Zensor Burkhard Seiler. Von den Großen allein übriggeblieben und mit einem Stand vertreten ist Rough Trade.

Warum das so ist, erfährt man aus dem Programmheft nicht. Dort wird EfA vorgeworfen, im August plötzlich die Teilnahme aus niederen Beweggründen abgesagt zu haben, was eine Verunsicherung der ganzen Szene, besonders der Labels hervorgerufen habe, die von EfA vertrieben werden. Daß EfA, SPV und Rough Trade im Vorfeld der Messe mehr Mitspracherecht bei der Gestaltung gefordert haben, was ihnen von Doebeling & Co nicht zugestanden worden sein soll, darüber schweigt sich der Artikel des generalmanagers im Official BID-Guide ebenfalls aus.

Kommen wir zum letzten Punkt der Zusammenstellung des Konzertprogramms, der showcases. Im Metropol konnte man exemplarisch verfolgen, was passiert, wenn man es allen recht machen will, um sich Kritik vom Leibe zu halten. Man präsentierte die „BID-Eröffnungsparty“ in einer atemberaubenden Mischtechnik. Einem Publikum, das augenscheinlich in erster Linie wegen der dance acts Merlin und Beatmasters erschienen war und vierundzwanzig Mark zu berappen hatte, zeigte man zunächst Poems For Laila, eher für zartere Gemüter geeignet. Dann folgte der Gitarrenteufel persönlich in Gestalt von Caspar Brötzmann, der eine rhythmisierende Schallmauer errichtete und zugleich durchbrach, deren Epizentrum in einem Geräuschtrichter mündete, der all seine Gegner aus dem Saal fegte und den Rest magisch in die Boxen zog. Geniale Musik. Nur nicht nur für Hip-House-Kids, die nach kurzem „Yooh„-Gebrüll entlassen wurden. Die Beatmasters und Merlin hielten ihre Auftritte in Fernsehspotlänge ab, in angemessenem Halb- bis Vollplayback. Was übrigens kein Wunder ist, denn bei der BID gibt es keine Gagen.

Es gibt nichts Stärkeres als eine Idee, deren Zeit gekommen ist. Hoffentlich erreichen diese Worte Genschmans die Organisatoren noch vor Ablauf ihrer Zeit. Denn es gibt nichts Ärgerlicheres als eine Chance, die vertan wurde.

Andreas Becker

Heute ist die BID-Messe von 11 bis 19 Uhr in der Kongreßhalle der Öffentlichkeit zugänglich.