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Die offene Rechnung der Göring-Werke

Mit dem Verkauf der Salzgitter AG, früher „Hermann-Göring-Werke“, entledigt sich die Bundesregierung nebenbei der Entschädigung der Zwangsarbeiter / Ehemaliges KZ steht heute noch auf dem Firmengelände  ■  Von Charlotte Wiedemann

Bonn (taz) - Die Bundesrepublik, Nachfolgerin des Deutschen Reichs, privatisiert die Salzgitter AG, Nachfolgerin der „Hermann-Göring-Werke“. Dabei bleibt eine Rechnung offen: die Entschädigung der Zwangsarbeiter. Seit Jahren wehrt sich das bundeseigene Unternehmen selbst gegen die politisch -moralische Minimalforderung zur Einrichtung einer Gedenkstätte auf dem Firmengelände. Dort stehen noch heute die fast vollständig erhaltenen Baulichkeiten des werkseigenen KZs der Göring-Werke, das Industrie-KZ Salzgitter-Drütte.

Die Hermann-Göring-Werke, Stahl- und Rüstungsgigant des NS -Staats, ließen allein im Raum Salzgitter rund 60.000 Zwangsarbeiter aus nahezu allen Ländern Europas für die Rüstungsproduktion schuften: verschleppte ausländische Arbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge. Bis zu 3.000 Häftlinge wurde zwischen 1942 und 1945 im Werks-KZ Drütte zusammengepfercht, eines der vielen Außenlager des KZ Neuengamme. Der Jurist Klaus Croissant, der als Mitarbeiter der Grünen im Europaparlament Material über die Göring-Werke zusammentrug, nennt Drütte „ein Musterbeispiel für das enge Zusammenwirken von Wirtschaft und Nationalsozialismus“.

1953 wurden die Vermögenswerte der Göring-Werke aus der Kontrolle der Alliierten entlassen, die Zuständigkeit ging an den Bund über. Seit 1961 firmiert das frühere NS -Unternehmen als „Salzgitter AG“, und nun schickt sich das Bonner Finanzministerium an, den Konzern samt unbewältigter Vergangenheit für zwei Milliarden Mark an die Preussag zu verkaufen. Das erinnert an eine andere Summe: Vier Mark Miete pro Tag und Häftling zahlten die Göring-Werke an die SS, für Facharbeiter etwas mehr. Wer zu geschwächt war für die weitere „Vernutzung“ in der Granatenproduktion, kam zurück ins Hauptlager Neuengamme und von dort ins Vernichtungslager. Croissant: „Die Hermann-Göring-Werke waren nicht nur der größte Abnehmer von KZ-Häftlingen, sie waren auch ihr größter Verbraucher. Die in ihren Betrieben eingesetzten Häftlinge hatten die geringste Lebenserwartung.“

An Erinnerungsstützen hat es der Bundesregierung nicht gefehlt. Der Gesamtbetriebsrat des heutigen Unternehmens sowie ein regionales Komitee in Salzgitter erhoben in den vergangenen Jahren immer wieder zwei Forderungen: die Einrichtung einer Dokumentations- und Gedenkstätte auf dem Firmengelände sowie die finanzielle Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiter. Eine Gedenkstätte, wie sie vom Rat der Stadt Salzgitter und vom Europaparlament verlangt wurde, lehnte der Konzern mit folgender Begründung ab: Die „uneingeschränkte Verfügungsbefugnis“ über das Firmengelände müsse erhalten bleiben, der Opfer könne „anderswo“ gedacht werden. Die niedersächsische Landesregierung hat bisher nur die Bauten des ehemaligen KZs unter Denkmalschutz gestellt. Mit dem Verkauf des Unternehmens an die Preussag könnte sich die Bundesregierung nun endgültig der unerfüllten Forderungen nach Wiedergutmachung entledigen, so befürchtet es der Sprecher der „Interessengemeinschaft ehemaliger Zwangsarbeiter“ Alfred Hausser: „Die sind jetzt aus dem Schneider.“ Die Möglichkeit, daß sich ein bundeseigenes Unternehmen wenigstens, wie Daimler-Benz, zu einer bescheidenen freiwilligen Widergutmachung bequeme, sei endgültig vertan. Nachdem der Verkauf bereits vom Kabinett beschlossen wurde, versuchen die Grünen im Bundestag noch einmal einen parlamentarischen Anlauf: Aus dem Verkaufserlös müsse zumindest ein Beitrag zur Entschädigung der NS-Opfer bereitgestellt werden, verlangt die Abgeordnete Antje Vollmer. Finanzminister Waigel bevorzugt in dieser Angelegenheit die gemeinnützige Pose: Mit Geldern aus dem Verkauf soll eine Umweltstiftung eingerichtet werden.

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