: Wie kommt man an Paß, TV und Rabatte?
■ Info-Abend in Huckelriede: BeraterInnen von den individuellen Problemen vielfach überfragt
Als „Freund und Helfer“ hatte die Gewerkschaft der Polizei die Aus-, Um-und Übersiedler vom Übergangswohnheim Scharnhorst-Kaserne ins Keglerheim in Huckelriede geladen: Zu Schnittchen mit Lachs und Ei und Beratung aus dem Mund von MitarbeiterInnen von Sozialamt, Meldebehörde, Kfz -Zulassungsstelle, von Sparkasse, Krankenkasse, Rechtsanwalt und Schutzpolizei.
Vertrauensvoll sollten die Eingeladenen fragen können. 60 waren gekommen. Nur war die versammelte Beratungskompetenz mit den meisten Fragen überfragt, konnten lediglich Adressen und Telefonnummern von den jeweils zuständigen Amtsstuben weitervermittelt werden.
„Ich bin Komponist aus der Sowjetunion. Wo kann ich meine Musik patentieren lassen?“ so die Eröffnungsfrage. Auf Urheberrecht und Gema und die Funktion von Musikverlagen wurde der Fragende verwiesen. Eine Anlaufstelle wußte auf Anhieb niemand. „Wird mein Schadensfreiheitsrabatt aus Polen auf meine Autoversicherung in Deutschland angerechnet?“ Schulterzucken. Das müßten die Versicherungsagenturen aushandeln. Ein über Ungarn geflüchteter junger Mann erkundigt sich: „Mir wurde in der DDR vorübergehend die Fahrerlaubnis entzogen. Den Strafbefehl habe ich mit, aber
keine Papiere. Wie komme ich an einen neuen Führerschein?“ Die VertreterInnen von Zulassungsstelle und Meldebehörde passen. Eventuell daß die Führerscheinstelle...
„Ich hätte gern eine Frage bezüglich der Ausstellung der Intentitätsbescheinigung...“ setzt Jürgen K., 26 Jahre alt und „drüben“ als Filialleiter tätig, zu seiner Frage an. „Kürzer, Freund!“ ruft es von hinten. Der Mann war über Prag geflüchtet und folglich ohne Papiere in Bremen angekommen. Jetzt wolle man ihm nur einen vorläufigen Paß ausstellen, auf vier Monate begrenzt, aber verlängerbar. Unterdessen solle K. sich von Verwandten Bescheinigungen oder Urkunden schicken lassen. „Das scheint mir umständlich. Wobei die Regierungen darüber doch ausdrücklich verhandelt haben.“ Annemarie Leinemann, Bürgerschafts-Vizepräsidentin, interveniert aus dem Publikum: „Wir haben beim
Senat bereits eine entsprechende Vorlage in Arbeit.“ - „Sie sehen, hier kann man politisch etwas bewegen. Sie müssen Ihre Interessen nur behaupten“, meint GdP-Chef Schulz väterlich dazu.
Wie kommt man an einen Fernseher? Und muß man ihn dem Sozialamt zurückgeben? Welche Versicherungen sind seriös? Auch die, die sich im Auffanglager Gießen anbieten? „Verbraucherschutz“, raten die Experten. Doch der habe nur 20 Akten mit Statistiken, für Neu-Bürger völlig unleserlich, anzubieten gehabt, erzählt der Ratlose. „Da wartet offenbar viel Arbeit auf die Beratungsstellen, besonders auf das hochdotierte neue Integrierungs-Amt von Dagmar Lill“ munkelt es am Tisch der Bürgerschaftsvizin. Und der Hausmeister des Übergangsheimes „mit Betreuungsaufgaben“ ergänzt im Flüsterton, daß er seit September 150 Überstunden angesammelt und keine freie Minute hat.
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