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Siemens und der „richtige“ Kapitalismus in Argentinien

Wird die staatliche Telefongesellschaft übernommen? / Jahrelang überhöhte Preise verlangt / Peronistische Gewerkschaften über Neu-peronistischen Kurs gespalten  ■  Aus Buenos Aires G. Simon

Eine obskure Geschichte bewegte vor ein paar Jahren die Gemüter der Argentinier. Unbekannte hatten damals das Grab des einstigen Präsidenten Juan Domingo Peron geöffnet und seine Hände geklaut. Über den Verbleib der Hände Perons wurde viel spekuliert. Zur Zeit kursiert in Argentinien ein Witz: Weißt du schon, daß die Hände wieder aufgetaucht sind? - Nein, wo denn? - Am Hals von Menem, um ihn zu erwürgen.

Peron hätte tatsächlich allen Grund, dem heutigen peronistischen - Staatspräsidenten Carlos Menem, der sich mit großen propagandistischem Aufwand als legitimer Nachfolger des Namensgebers der Bewegung feiern läßt, den Hals umzudrehen. Seit seinem Amtsantritt Anfang Juli setzt Menem alles daran, die letzten Zeugnisse der Wirtschaftspolitik Perons auszulöschen. Die Eisenbahn zum Beispiel: Nach jahrzehntelangen Auseinandersetzungen mit den britischen Eigentümern hatte Peron sie 1948 für teures Geld nationalisiert. Das Telefon, anfangs ebenfalls in britischer, später in US-amerikanischer Hand, wurde im selben Jahr verstaatlicht. Zusammen mit der Erdölgesellschaft YPF, dem Schiffahrtsunternehmen ELMA und später der Fluglinie Aerolineas Argentinas sollten diese staatlichen Unternehmen den Grundstein legen für die nationale Souveränität Argentiniens. So war es zumindest gedacht.

Der 18.März, der Jahrestag der Nationalisierung des Telefons, wird von der Telefongewerkschaft FOETRA noch heute Jahr für Jahr mit einem großen Fest gewürdigt. Geht es nach dem Willen Menems, wird es im nächsten Jahr nichts mehr zu feiern geben. Die staatliche Telefongesellschaft ENTel soll noch in diesem Jahr zum Verkauf ausgeschrieben und 1990 an private Unternehmen verscherbelt werden. Ebenso die Eisenbahn, YPF, Aerolineas Argentinas, ELMA, die U-Bahn und andere Staatsbetriebe.

Eine „Plünderung der Nation“ sieht Fernando Montero von der FOETRA in der Privatisierungspolitik Menems: „Es ist genau das wirtschaftspolitische Schema, das von IWF, Weltbank und den internationalen Banken vorgegeben ist und mit dem sie die letzten Reste unserer nationalen Souveränität auslöschen wollen.“ Genau dieses wirtschaftspolitische Schema ist es allerdings auch, das mittlerweile von einem Teil der peronistischen Gewerkschaften entschieden unterstützt wird. Daß die argentinischen Staatsbetriebe größtenteils ineffiziente und aufgeblähte Gebilde sind, die noch dazu von korrupten Verwaltungen mißbraucht werden, macht es schwer, sie zu verteidigen. Zur Zeit bilden sich in Argentinien die merkwürdigsten Allianzen zwischen ehemals linken Peronisten und den neoliberalen Vertretern der Multis, die die Wirtschaftspolitik seit dem Amtsantritt Menems übernommen haben.

Die Telefongewerkschaft hat sich an der Frage der Privatisierung in zwei Lager gespalten. Julio Guillan, der Generalsekretär der FOETRA, stand Anfang der siebziger Jahre für eine kämpferische, anti-imperialistische Strömung innerhalb des Gerwerkschaftsdachverbandes CGT. Heute gehört er zu den radikalsten Befürwortern der Privatisierung: „Die schwere Krise, die wir jetzt durchmachen, kann nur durch den Vorschlag des Präsidenten Menem überwunden werden: Die nationale Einheit, der Kampf gegen die Spekulationskultur und für eine Kultur der produktiven Investitionen.“ Die Auffassung, daß Argentinien ausländische Investitionen braucht, und daß das Land nur durch den Verkauf der Staatsbetriebe und im Rahmen einer streng marktwirtschaftlichen Ordnung gerettet werden könne, hat in der argentinischen Gesellschaft nach dem katastrophalen wirtschaftlichen Einbruch seit Februar dieses Jahres stark an Boden gewonnen. Auf der anderen Seite stehen die, die auf den Zusammenhang der Ausplünderungspolitik der in- und ausländischen Konzerne und dem schlechten Zustand des staatlichen Sektors hinweisen.

Wer über die Zukunft der Telefongesellschaft ENTel entscheidet, kommt an einem Unternehmen nicht vorbei: Siemens. Seit über 80 Jahren ist der bundesdeutsche Multi in Argentinien vertreten. Die Fabrik, die Siemens 1914 hier baute, war die erste Fabrik des Konzerns überhaupt in Übersee. Seit 1957 ist Siemens der wichtigste Zulieferer von ENTel; geliefert werden alle technischen Ausrüstungsgüter der Fernmeldezentralen, einschließlich der Telefonapparate.

Luis Donikian, der seit 28 Jahren bei ENTel arbeitete und lange Jahre in der technischen Kommission der FOETRA engagiert war, kann ein Lied davon singen, daß die Nationalisierung von ENTel noch lange kein Ende der technischen Abhängigkeit und der Ausbeutung des Unternehmens durch ausländische Firmen brachte. „Wir müssen an unsere Zulieferer oft mehr als das Doppelte des Weltmarktpreises bezahlen.“ Donikian rechnet vor, daß eine Erweiterung des Telefonnetzes im Weltmarktdurchschnitt etwa 1.000 Dollar pro Anschluß kostet. ENTel zahlt an seine Zuliefer- und Installationsfirmen bis zu 2.500 Dollar. „Trotz der Nationalisierung von ENTel werden hier weiterhin die Gewinne privatisiert, und die Verluste sozialisiert.“ Die Profiteure sind die internationalen Zulieferfirmen: Neben Siemens gehören dazu die japanisch dominierte Pecom-Nec, die französische GTE, die italienische Teletra, Pirelli und SADE.

Überhöhte Preise seien ein uralter Vorwurf an Siemens, meint Michael Ritter, Pressesprecher von Siemens in Argentinien, streitet aber nicht ab, daß die Preise, die Siemens von ENTel verlangt, tatsächlich weit über dem Weltmarktdurchschnitt liegen. Er begründet das mit der Begrenzung des argentinischen Marktes. „Es ist ein Unterschied, ob man die Fixkosten auf 100.000 Linien verteilen kann oder auf eine Million.“ Sehr überzeugend ist dieses Argument allerdings nicht. Mit drei Millionen Hauptanschlüssen entspricht der argentinische Markt in etwa dem der Schweiz, Österreichs oder Griechenlands und ist größer als beispielsweise in Dänemark oder Finnland.

Das Geschäft der letzten Jahre war für den deutschen Elektrokonzern ein Auftrag über die Produktion der Telefonanlagen für 300.000 neue Anschlüsse. In dem ursprünglichen Vertrag, der 1982 geschlossen wurde, war ein Preis von 250 Dollar pro Linie vereinbart worden; 1986, als die Lieferungen begannen, mußte ENTel 450 Dollar pro Linie bezahlen - bei 300.000 Anschlüssen ein saftiger Zuschlag von 60 Millionen Dollar, der weder durch die Inflationierung des Dollars noch durch entsprechende Preissteigerungen in der BRD, wo die meisten Bausteine gefertigt werden, zu erklären ist.

Einen handfesten Konflikt hatte der bundesdeutsche Multi 1974 mit der damaligen peronistischen Regierung, die ihm Doppelfakturierung vorwarf, die Verträge kündigte und versuchte, den Bau der Telefonanlagen zu nationalisieren. Siemans klagte gegen diese Entscheidung und erreichte dann unter der Militärregierung einen Vergleich. Die Verträge wurden erneuert, und die Geschäfte liefen wieder so gut, daß Siemens 1985 die Fabrik von ITT in Argentinien kaufte und damit seine Monopolposition in der Produktion von Telefonanlagen ausbaute.

Nach der jahrzehntelangen Privatisierung der Gewinne steht nun der Ausverkauf von ENTel auf der Tagesordnung. Trotz der gesalzenen Preise der internationalen Zulieferfirmen ist ENTel kein Verlustunternehmen. Mit dem Verkauf der Telefongesellschaft wird in erster Linie den Forderungen der internationalen Gläubigerbanken entsprochen, die einen Teil ihrer argentinischen Schulden im Rahmen von „Debt to Equity Swaps“ (Verkauf von Forderungen gegenüber einem Gläubigerland zu Discountpreisen an einen Direktinvestor im Land) loswerden wollen. Für Siemens und andere Interessenten wäre das auch der beste, weil preisgünstigste Weg, sich an ENTel zu beteiligen.

Welche Interessen hat Siemens an dem Verkauf von ENTel? Michael Ritter: „Wenn uns nichts anderes übrigbleibt, dann werden wir uns beteiligen müssen.“ Siemens macht sein Geschäft mit dem Verkauf von Telefonanlagen. Die Beteiligung ist deshalb nur die „zweitbeste Lösung“, die jedoch vorbereitet wird für den Fall, daß Siemens seine Position als Hauptzulieferer so am besten absichern kann. Was sich zur Zeit abzeichnet, ist ein Zusammenschluß der City-Bank mit Siemens, Pecom-Nec, Pirelli und eventuell anderen Zulieferfirmen, der ENTel übernehmen kann. In diesem Fall können die Zulieferfirmen das Unternehmen direkt im Sinne ihrer Verkaufsinteressen benutzen. Siemens kann ENTel nach Belieben modernisieren, um seine Digitaltechnik in Argentinien zu verkaufen. „Sie werden“, so Luis Donikian von ENTel, „modernisieren, die technischen Anlagen durch neue ersetzen, auch wenn das unnötig ist. Sie werden hier die Anlagen installieren, die sie verkaufen wollen. Sie werden über die Preise, die sie sich zahlen, selbst entscheiden. Sie werden, um das alles bezahlen zu können, das Unternehmen erneut verschulden. Sie werden also Schulden in Kapital umwandeln, um dann neue Schulden zu produzieren.“

„Was dieses Land braucht, ist ein richtiger Kapitalismus.“ So tönte der Harvard-Ökonom Jeffrey Sachs während seines Besuchs in Argentinien Ende Juni und sprach damit vielen Argentiniern und einem Teil der peronistischen Bewegung aus dem Herzen. Dieser „richtige“ Kapitalismus wird allein bei ENTel mindestens 10.000 Angestellte in die Arbeitslosigkeit entlassen. Zur Zeit kommen bei ENTel auf einen Angestellten 58 Telefonanschlüsse. Zum Vergleich: In der Schweiz sind es 176, in Österreich 145, in Frankreich 132. Michael Ritter: „ENTel ist überbevölkert.“

Nationalistische Bandagen

Julio Guillan, der Generalsekretär der Telefongewerkschaft, der früher für die Arbeiterkontrolle bei ENTel gekämpft hat, ist mittlerweile zum besten Verbündeten von Siemens geworden. Wenn er seine Unterstützung für die Privatisierungspläne trotzig gegen alle Vorwürfe der Gewerkschaftsopposition verteidigt, muß man wissen, daß Guillan während der Militärdiktatur sieben Jahre lang im Gefängnis gesessen hat. „Wir haben viele nationale Enttäuschungen erlebt. Viele unserer Probleme sind ein Produkt von nutzlosen Kämpfen der argentinischen Gesellschaft. In der Demokratie fanden wir ein leeres, ein geplündertes Land vor. Ohne produktive Investitionen kehrten wir in die Vergangenheit zurück.“

Guillans Gegner in der Gewerkschaft, die teilweise mit sehr traditionellen, nationalistischen Bandagen kämpfen, sind fest entschlossen, ihre Arbeitsplätze und die Souveränität Argentiniens zu verteidigen, auch wenn sie der wirtschaftlichen Krise gegenüber mehr oder weniger ratlos sind. „Wir werden in eine Etappe des Widerstands eintreten“, so Fernando Monero von der gewerkschaftlichen Opposition, „auch wenn einige Leute glauben, daß er zum Scheitern verurteilt ist.“

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