: Vandellos 1 - Plutonium 239 für Frankreichs Atomwaffen
Der katalanische Unglücksreaktor diente von Anfang an militärischen Zwecken / Seit dem Beinahe-GAU stornierten Touristen ihre Urlaube, werden Bauarbeiten an Motels gestoppt / Die Bevölkerung der umliegenden Orte beginnt sich zu wehren / Jahrelang war die gefährliche Nachbarschaft kein Thema ■ Aus Barcelona Nikolas Marten
Ein Vierteljahrhundert ist es her, als Diktator Franco 1964 mit De Gaulle übereinkam, daß Frankreich sein Nuklear-Know -how auf die iberische Halbinsel in Form von Atomreaktoren exportieren konnte. Acht Jahre später ging der Magnox -Reaktor Vandellos 1 ans Netz. Francisco Diaz, Bauunternehmer aus L'Ametlla de Mar erinnert sich: „Wir hatten alle kein Geld. Die Baustelle brachte viele Arbeitsplätze, machte viele wohlhabend. Von Atomkraft und den Gefahren wußte keiner etwas.“
Wie viele andere kleine Orte an der Costa Dorada, der goldenen Küste, wurde auch L'Ametlla de Mar Ende des letzten Jahrhunderts von Fischern gegründet. Vorher waren Ansiedlungen am Meer selten, da die Angst vor Piraten groß war. Fischfang und Olivenanbau waren fortan die einzige Einnahmequelle.
Mitte der siebziger Jahre entdeckte dann der vordringende Touristenstrom diesen felsigen, von Bergen eingeschlossenen und mit schönen Strandbuchten geschmückten Landstreifen am Mittelmeer. In den Sommermonaten fallen über 160.000 Sonnenhungrige, vorwiegend Deutsche, in die fünf Fischerdörfer ein, die gerade 15.000 Einwohner zählen. Überall hält der Bauboom an. Immer mehr Appartement-Enklaven und mondäne Ferien-„Urbanisationen“ mit kleinen „chalets“ entstehen an der Peripherie der Orte.
Inmitten dieser vermeintlichen Urlauberidylle, direkt am Strand, „der schönste und größte, den wir haben“, wie ein Tourismussprecher meint, steht unübersehbar die große Nuklearanlage Vandellos.
Zwar wurden in Vandellos1 in den letzten sieben Jahren 62 meldepflichtige Störfälle registriert, und auch in dem erst 1987 eingeweihten Reaktor Vandellos 2 wurde in 18 Monaten 31 Mal Alarm gegeben, doch Anwohner und Sommerfrischler schien es nicht zu stören.
Selbst als im April 1986 von Tschernobyl aus eine Super-GAU -Wolke vernichtend um die Erde flog, war hier niemand groß besorgt. Gertrud Weiland, 37jährige Lehrerin aus Wiesbaden, die seit vier Jahren in Amettla lebt, erzählt, daß es damals keine Diskussionen und Gespräche gab. Die Medien hätten nur spärlich berichtet, sie selbst alles aus Deutschland erfahren.
Unerfüllte Sicherheitsauflagen
Doch zur Sorge hätte durchaus Anlaß bestanden, denn Vandellos 1 arbeitet mit dem gleichen, technisch überholten „Moderator„-Prinzip auf Graphitbasis wie der sowjetische Unglücksmeiler. Folgerichtig veranlaßte am 20.6.86 der spanische Atom-Sicherheitsrat (CSN), daß an dem antiken 480 -Megawatt-Reaktor fünf grundlegende Veränderungen, die Kühlung und Sicherheit (u.a. Brandschutz) betrafen, sofort vorgenommen werden sollten. Bis zur Feuernacht, über drei Jahre später, war nichts geschehen.
Insgesamt gingen 33 Reaktoren baugleichen Typs ans Netz. Heute sind noch vier in Betrieb, die außer Vandellos 1 alle in den nächsten drei Jahren stillgelegt werden sollen. Der katalanische Katastrophenmeiler hat noch eine Genehmigung bis zum Jahre 2003 und gilt nach einem Presse-Communique der Betreiber „als der effektivste und rentabelste der zehn spanischen AKWs“. Eine Erfolgsmeldung, die Angst machen muß. Jordi Vigas, spanischer Sprecher des World Information Service of Energy (WISE) ist in Besitz einer internen Erklärung von Pedro Duran Farell, dem ehemaligen Präsidenten der „Hifransa“, die Eigner der Anlage ist. In ihr heißt es, „Vandellos wurde nur aufgrund militärischer Interessen Frankreichs gebaut“. Weiter liest man dort, daß das Ziel in Vandellos nicht das „Produzieren von Strom in Megawatt ist“, sondern die Herstellung von „Plutonium 239 zu militärischen Zwecken“. Farell, inzwischen im Club of Rome vom Saulus zum Paulus bekehrt, sagte weiter: „Vandellos ist unsere beste Plutonium-Fabrik.“ Diese von ihm selbst bestätigten Aussagen geben Raum zu weiteren Spekulationen. Jordi Vigas hat Beweise, daß das Plutonium im französischen Nuklearzentrum Marcoule, südlich von Lyon gelegen, weiter verarbeitet wird.
Für die Bewohner der fünf „pueblos nucleares“, Atomdörfer, war bis zum Mittwoch abend des 19.Oktober 1989 die Welt in Ordnung. Die Fischerträge dieses Jahres waren besser als erwartet, Deutsche und Schweizer hatten im Sommer mehr Geld denn je dagelassen. Doch genau um 21 Uhr 44 Minuten und 27 Sekunden meldete ein vom Fang zurückkehrender Fischer dem Hafenbüro über Funk „Feuer und starke Rauchentwicklung über Vandellos“.
Der Unfall verändert alles
Seitdem hat sich das Leben in der Region grundlegend verändert, gerade weil „mehr Glück als Verstand“ den Super -GAU verhinderte, wie die fünf Bürgermeister gemeinsam erklärten. Aktiver Widerstand gegen die beiden Beton -Monumente und die von ihnen ausgehende Gefahr beginnt. Anti -Atom-Komitees werden gegründet. Petitionen, Bürgerbegehren an die Regierung gerichtet, die nur eins zum Ziel haben, „die sofortige Stillegung“.
Konservative Bürgermeister, die sich bisher über großzügige Zahlungen seitens der Betreiber für ihre Gemeinden freuten, melden sich laut zu Wort, lehnen sich gegen die übermächtige Atom-Lobby auf. Straßenblockaden, Streiks, Sit-ins und Demonstrationen prägen seit Tagen das Bild im Süden Kataloniens. Nach anfänglicher Zurückhaltung berichten nun auch die Medien ausführlicher. Auch die lokale Wirtschaft ist dabei. Denn schon haben Investoren die Bauarbeiten an Ferienanlagen stoppen lassen, schrecken Stornierungen von Zimmerbuchungen die Hoteliers und Pensionsbesitzer auf.
Doch besonders die vor Ort lebenden Menschen sind es, die eine Veränderung im Denken spüren. Pere Margalef, der Bürgermeister der kleinen Hauptstadt des Widerstands, L'Amettla de Mar, sagt, „plötzlich merken wir alle, daß unser Leben nichts zählt, daß andere, die nur mit Geld hantieren, mit unserem Leben spielen“. Gertrud Weiland erzählt, wie ihre Deutsch-Schüler nicht mehr zum Unterricht fähig sind, „heulen, Nervenzusammenbrüche bekommen, vor Angst richtig zittern. Plötzlich wissen wir, daß wir hier mit dem Bewußtsein leben müssen, daß wir täglich verseucht werden.“
Vieles, was einst als „gottgegeben“ hingenommen wurde, hat nun eine Erklärung: Vandellos. So zählte man in den letzten beiden Jahren über 30 registrierte Fehlgeburten in dem 4.300 -Einwohner-Städtchen. Augusti Alucha, Stadtfriseur, erinnert sich, daß „im letzten Winter meinen Kunden über fünf Monate die Haare besonders stark ausfielen“. Bauern berichten von unzähligen Vogelkadavern, die sie nach Regenschauern auf ihren Feldern fanden.
Da es weder staatliche noch unabhängige Zahlen und Statistiken über Strahlung und Sterblichkeit gibt, sind der Hysterie, den vor Angst panischen Spekulationen keine Grenzen mehr gesetzt. Aber auch andere Gedankenspiele machen die Runde. In einer Hafenbar bekundet ein Fischer, daß er die ETA, die baskische Terrorgruppe, vermissen würde. Unter johlendem Beifall meint er: „Die legen ein paar Bomben, killen die Verantwortlichen. Dann gibt's kein Vandellos mehr.“
Chaos bei den Löscharbeiten
Der Staat und die Betreiber haben diese Entwicklung durch Tatenlosigkeit und Schweigen mitverschuldet. So wurde der Bürgermeister an dem Brandabend beruhigt, es würde nur ein Öllager brennen, das Feuer sei unter Kontrolle. Erst am nächsten Morgen erfuhr er aus dem Radio die Wahrheit. Chaos auch bei den Löschtrupps. Ein Feuerwehrmann, offiziell zum Schweigen verurteilt: „Als wir ankamen, rannten uns Techniker entgegen, die schrien, 'der Reaktor fliegt in die Luft, weg hier‘. Niemand sagte uns, was zu tun ist. Wir hatten keinen Schimmer. Es gab nie eine Probe.“ Mit normaler Ausrüstung, „als würden wir eine brennende Gardine löschen“, kämpften sich 56 Feuerwehrleute über drei Stunden bis zum Brandherd, den schmelzenden Generator-Turbinen, vor. „Mir wurde mulmig, als ich hörte, wie Techniker ihre Familien anriefen, um sie wegzuschicken.“ Erst nach vier Tagen wurde er untersucht, mußte seine Kleider abgeben. Von dem Ergebnis erfuhr er nichts. Bauern, die am Tag danach ihre Felder bestellten, sahen Männer in Schutzanzügen, „als wäre ein Ufo gelandet“, Bodenproben entnehmen. Auf Anfragen reagierten sie nicht.
Inzwischen ist auch bekannt geworden, daß es in den umliegenden Krankenhäusern weder Einrichtungen noch Ärzte gibt, die auf eine radioaktive Entseuchung vorbereitet sind. In der örtlichen Apotheke gibt es nicht einmal Jodtabletten. Katastrophenschutzpläne existieren wohl, doch weder Bürgermeister noch Polizei kennen sie. Heute weiß man, daß Militär und Polizei im Katastrophenfall Anweisung bekämen, die Ortschaften im Umkreis von 15 Kilometern zu sperren und zu isolieren, damit „sich die Verseuchten, die flüchten wollen, nicht mit den Gesunden mischen“.
In der 150 Kilometer entfernten 3,5-Millionen-Metropole Barcelona, die 1992 Ausrichter der olympischen Sommerspiele ist, kümmert das keinen, schweigt sich die lokale Presse über das Thema aus, obwohl Vandellos 1 schon in vier Monaten wieder Strom liefern soll. Reparaturmaterial kommt aus dem stillgelegten Abbruch-AKW Saint Laurent in Frankreich. Das Schlußwort gebührt Pilar Bravo, der Generaldirektorin für Zivilschutz, die letzte Woche auf einer Pressekonferenz versicherte: „Ich darf nicht mehr sagen, außer, daß die Gefahr groß ist, ... äh...war.“
Letzte Meldung: Pasto aus dem Vorstand einer der Betreiberfirmen ENER, erklärte dem Comite Antinuclear, daß man von dem schlechten Zustand der Turbine, die in Brand geriet, gewußt hätte, sie aber aus Kostengründen erst beim nächsten Routineausschalten habe auswechseln wollen.
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