Über die Grenzen der Gleichheit

■ „Citoyenne“ zu sein ist nicht alles, wie die Geschichte lehrt. Wenn aber die Differenz der Geschlechter zum Ausgangspunkt wird, was bedeutet dies für die Politik der Frauen? Um separate Welten kann es nicht gehen, vielmehr um ein neu zu definierendes gemeinsames Terrain und um ein neues Recht.

Rossana Rossanda

Rossana Rossanda (65), Mitherausgeberin der Zeitung 'Il manifesto‘, ist eine der Leitfiguren der Neuen Linken in Italien. Mit ihrem Vortrag, den sie uns freundlicherweise zur Verfügung stellte, eröffnete sie den internationalen Frauenkongreß „Menschenrechte haben (k)ein Geschlecht“ Anfang Oktober in Frankfurt.

Zuallererst möchte ich mich für die Einladung bedanken. Daß ich diesen Kongreß sogar eröffnen darf, ist eine Ehre, die ich gar nicht verdient habe. Ich bin dem Feminismus spät begegnet, obwohl ich immer wieder mit Besorgnis über die Lage der Frau und die weibliche Identität nachgedacht habe. Und auch wenn die Frauenbewegung der letzten Jahre meinen Horizont wesentlich verändert hat, so ist sie doch nicht das einzige oder besondere Gebiet meines Engagements. Vielleicht gibt es dafür aber doch einen Grund: In mir wird eine emanzipierte Frau gesehen, die seit jeher in der Politik engagiert ist, eine Marxistin und Kommunistin; eine Frau, die jahrelang in einer Partei aktiv war, die Erfahrungen mit den Institutionen der parlamentarischen Demokratie gemacht hat und die heute zusammen mit anderen eine kleine, aber nicht unbedeutende Tageszeitung leitet. Vielleicht ist es nicht unwichtig, von dieser, ganz im Sinne des Wortes, „arrivierten“ Frau zu hören, daß die Emanzipation uns nur mit Mühe vor die Schwelle der wesentlichen Fragen gebracht hat, die wir uns heute stellen müssen, und Gefahr läuft, ihnen sogar auszuweichen.

Zweihundert Jahre nach der Französischen Revolution müssen wir uns nicht länger fragen, wie wir alle jene Gleichberechtigung erreichen können, die die Frauen 1789 nicht erhielten und die sie heute in unseren Ländern erst formell haben. Wir müssen uns vielmehr fragen, „warum“ die Frauen damals nicht gleichberechtigt waren und heute selbst dort, wo sie formell gleichberechtigt sind, nur spärlichen Gebrauch davon machen.

Sind jene Rechte unser letztes und ausschlaggebendes Ziel, der Schlüssel zu unserer Freiheit? Meine Antwort, wie die der Mehrheit der Frauen, die sich in Italien mit dieser Frage beschäftigen, lautet: nein. Unser letztes Ziel besteht nicht darin, die in der Menschenrechtserklärung proklamierten Rechte auf die Frauen auszudehnen. Während ich das sage, vergesse ich nicht, daß die Frauen in sehr weiten Regionen der Welt nicht einmal eine elementare Anerkennung von Gleichheit haben. Und wenn „citoyennes“ zu sein nicht alles ist, so bedeutet aber, dies nicht zu sein - wie es in vielen Ländern der Dritten Welt und in fast allen Gebieten der Fall ist, in denen eine Religion den Anspruch erhebt, die Basis der zivilen und staatlichen Beziehungen zu sein eine Unterdrückung und grundlegende Negation. Keine Frau kann wirklich autonom und frei reden, solange sie rechtlich und ökonomisch abhängig ist. Und diese Millionen Frauen, die kämpfen, um diesem Zustand zu entkommen, sollten wir noch wirkungsvoller unterstützen.

Dennoch müssen wir von den sogenannten Höhepunkten der Entwicklung eine Bilanz der erworbenen „Rechte“ und damit unvermeidlich des Rechts ziehen. Diese Bilanz wird uns zeigen - worauf auch der Titel unseres Kongresses hinweist -, daß das Recht ein Geschlecht hat, nämlich das der Männer, die es kodifiziert und für beide Geschlechter gültig erklärt haben.

Die Frau als denkendes Subjekt hat sich nicht „ausgedrückt“, sondern sich „definiert“ gefühlt. Als ob ein Geschlecht vollkommen und restlos auch das andere denken und ihm durch sein Denken eine bestimmte Rolle zuweisen könne!

Dem Feminismus der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts schulden wir die Feststellung, daß es so nicht ist. Und wir müssen heute bemerken, daß er jene weibliche Differenz nicht „erfunden“, vielmehr „entschlüsselt“ hat, aufgrund derer die Frauen nicht nur aus dem Sich-Kodifizieren und daher überhaupt aus dem Kodifizieren ausgeschlossen worden sind, sondern aufgrund derer sie auch ihren Kampf um die Menschenrechte nicht bis zum Äußersten getrieben haben, wie ihn die Geschichte anderer Unterdrückungen kennt.

Wir kämpfen nicht ohne Zweifel für die zweideutige Errungenschaft des gegenwärtigen Rechts - nämlich diejenigen zu bleiben, die wir in der primären gesellschaftlichen Rolle schon immer waren: Ehefrauen und Mütter des Mannes und sein Doppel in der politischen Sphäre.

Die Reflexion darüber hat jedoch schon begonnen und bildet meiner Meinung nach einen Wendepunkt in der Frauenbewegung. Die historischen Grenzen

der Emanzipation

Die radikale Betonung der Autonomie jedes der beiden Geschlechter, die in Italien in den Theorien der „sexuellen Differenz“ gemacht wird, deutet auf die Grenze des frühen Feminismus und der gegenwärtigen „Emanzipationismen“ hin. Sie bietet zugleich den Schlüssel - der allerdings selbst voller Probleme ist - für deren historische und theoretische Lektüre.

Die Historikerinnen der Französischen Revolution wissen, was für ein Mißverhältnis zwischen der entschiedenen Schlagkraft, die die Frauen, nicht nur in Paris, während der entscheidenden Momente entwickelten, und dem errungenen Resultat herrschte: Schon vor dem Thermidor werden sie exorziert und politisch entmündigt. Und doch sind sie das erste Mal „sichtbar“ gewesen: nicht nur die Einzelnen, deren Namen wir kennen, und die Frauen der Clubs, die häufig guillotiniert wurden - sondern die Masse der „citoyennes tricoteuses“, die die Versammlung oder den Konvent stürmten, und die von den ersten Monaten an als Klägerinnen und Rächerinnen auftraten und den König von Versailles nach Paris geschleppt haben. Sie klagen an, weil sie in keinem Augenblick Gesetze erlassen. Sie selber denken selten daran, daß sie dies tun sollten und sind selten imstande zu schreiben, wie Olympe de Gouges, oder zu reden, wie Claire Lacombe. So gesehen haben die Frauen eine begrenzte Möglichkeit, sich zu artikulieren. Sie sind daher im eigentlichen Sinne „der Körper“ jenes drängenden Volkes, auf das sich alle beziehen, das aber durch den beschränkten Zugang zur Wahl eine unartikulierte Kraft ist. (...)

Warum geschieht dies? Die Frauen sind keine soziale Gruppe, sie sind ein Geschlecht: Es ist schwer, sich mit den von der der Arbeiterbewegung angeeigneten Kategorien des Marxismus zu erkären, warum dieses Geschlecht in seiner Gesamtheit besiegt wurde und sich auch aus jenem Spielraum zurückzog, den dank ihres Vermögens oder ihrer Kultur einige privilegierte Frauen während des Ancien Regime gehabt hatten. Der Marxismus deutet eine Antwort dafür an, allerdings außerhalb seiner Theorie über die kapitalistische Gesellschaft: Die Frauen sind für die soziale Reproduktion zuständig, und zwar nicht nur in dem selbstverständlichen Sinne, daß sie diejenigen sind, die Kinder gebären. (...) Das sowjetische Modell

Die russische Revolution von 1917 will die Frau befreien. Und tatsächlich emanzipiert sie sie energisch - in dem Sinne, daß die Revolution sie von dem geschriebenen patriarchalen Recht befreit und aus der Frau auf der politischen Bühne und am Arbeitsplatz einen Mann macht. Allerdings gelingt ihr weder, die unsichtbare Arbeit der Frau in der sozialen Reproduktion als öffentlichen „Dienst“ wirklich zu ersetzen noch die Konsequenzen der Veränderung wirklich zu begreifen, die diese neue Situation auch für das kommunistische Denken hätte bedeuten sollen.

Im Gegenteil merkt der „realexistierende Sozialismus“ recht bald, daß in einer Situation, in der wenige Ressourcen zur Verfügung stehen, die traditionelle Familie wertvoll ist: Sie hilft den Staatshaushalt zu entlasten. Die sowjetische emanzipierte Frau wird also alles tun, was der Mann tut außer dem Militärdienst in Friedenszeiten - und all das, was die traditionelle Frau tut. Wir sollten uns daher nicht wundern, wenn sie dann totmüde jene dritte Arbeit, die die politische Aktivität darstellt, oft nicht mehr zu leisten vermag und in der Sphäre der Macht benachteiligt wird. So ist das sowjetische Beispiel wie kein anderes bezeichnend für die Grenzen einer Emanzipation, die die Geschlechterdifferenz nicht anerkennt und sie sogar in das Private und Unbewußte zurückdrängt. Das Modell des männlichen Geschlechts und seine soziale Projektion (der Mann sei von Natur aus für die Verantwortung und Führung bestimmt) bleiben garantiert.

Was die Sowjetunion betrifft, können wir uns fragen, ob wir nicht vor einer anderen Gesellschaft stünden und damit vor einem anderen Wert der Emanzipationsprozesse, wenn sich die junge Revolution die Frage der geschlechtlichen Arbeitsteilung gestellt und gelöst hätte. Es ist aber keine Zufall, daß es nicht dazu gekommen ist. Und dies ist nicht nur darin begründet, daß die Ideologie der Revolution die Probleme der Person auf die Veränderung der Eigentumsverhältnisse reduziert hat und die Problematik des Ichs - als bürgerliche Ablenkung verstanden - ignorierte. Über das Geschlechterverhältnis herrschte ein noch größeres Schweigen und verdrängte schon vor Ende der zwanziger Jahre jede befreiende weibliche Arbeit wie alle Forschungen über das Unbewußte. Wenn ich mich nicht irre, erschien das letzte Buch von Freud 1926, danach waren seine Bücher unauffindbar. Die Person mit all ihren Rechten wurde ausgelöscht, und das Geschlecht verschwand in der scheinbaren Gleichheit der sozialen Chancen. Während die emanzipierte Frau im Westen die Trennung zwischen dem öffentlichen und dem Privaten erfuhr, die ihr Bewußtsein und ihr konkretes Leben durchzog, wurde ihr in der Sowjetunion gesagt, daß diese Trennung aufgehoben sei - ihr blieb als Frau nichts anders übrig, als sich als „unsagbar“ zu erfahren.

Auf diese Themen werden wir sicherlich noch näher eingehen. Ich wollte nur kurz darauf hinweisen, wie in den verschiedenen sozialen Systemen und Ideologien das Weibliche als „verschieden“, im Sinne von „autonom“, umgangen oder geleugnet wird. Wenn auch mit schlechtem Gewissen, wird in der Öffentlichkeit inzwischen die sexuelle Differenz als ein Problem der „Verspätung“ verstanden, die allerdings leicht nachzuholen sei. Dadurch wird die Frau ein zweites Mal geleugnet. Sie ertrinkt entweder in der sexuellen Rolle, die ihr das Patriarchat zuweist, oder in der „asexuellen“ Person. Dies garantiert ihre „Nicht-Existenz“ als Geschlecht und dessen Bedeutungslosigkeit in der Gesellschaft.

Die Anerkennung der Grenze der Emanzipation ist bereits Gegenstand der theoretischen Diskussionen der italienischen Frauen geworden. Umstrittener sind die Folgerungen, die daraus gezogen werden. Die Diskussion über die Geschlechterdifferenz

Das erste Problem ist theoretischer Art: Hat die Geschlechterdifferenz außer einem biologischen auch ein ontologisches Fundament? Ist die Menschheit zweigeschlechtlich, und sind die Geschlechter - sozusagen getrennt programmiert, so daß die Kommunikation zwischen ihnen nur unvollkommen und asymmetrisch sein kann? Oder müssen wir nicht mit Simone de Beauvoir sagen, wir werden nicht als Frauen geboren, sondern dazu gemacht?

Anders ausgedrückt: Ist das mehr als nur physiologische Ausmaß der Geschlechterdifferenz ein historisches Produkt oder hat es Wurzeln jenseits und vor der Geschichte?

Die Antwort kann uns auf der theoretischen Ebene entzweien, nicht aber auf der historisch-politischen. Auch diejenigen unter uns, die weit entfernt von jeglicher Metaphysik des Seins und damit auch von der des geschlechtlichen Seins sind, wissen genau, daß die geschlechtliche Rollenteilung tief in die Geschichte zurückreicht, in eine Zeit, die so weit zurückliegt, daß sie fast zur „Natur“ geworden ist und die Archetypen der männlichen und weiblichen Identität bildet. Die von Frauen wie Luce Irigaray mittels der Tiefenpsychologie oder der Theorien der Differenz durchgeführten Untersuchungen der Archetypen haben in Italien drei Richtungen hervorgebracht: Ein Forschungsstrang geht von der anfänglichen Praxis der Selbsterfahrung aus (Vertreterinnen dieser Studien sind Lea Melandri oder Manuela Fraire1), ein weiterer zielt auf die philosophische Ausarbeitung der Geschlechterdifferenz (wie z.B. die „Libreria delle donne“ in Mailand und „Diotima„2) und eine dritte Richtung stellt das Denken und die politische Praxis der Frauen dar, die sich in der italienischen kommunistischen Partei engagieren und in den letzten Jahren Grundlegendes verändert haben. (Ich denke hier an die „Carta delle donne“ und an die feministische Zeitschrift 'Reti'3.) „Das Geschlecht,

das nicht eins ist“?

Umstritten ist eine theoretische und methodologische Konsequenz, die aus der Diskussion über die Geschlechterdifferenz hervorgeht. Indem sich der Mann seine Herrschaft über das Paar und seine ausschließliche Macht im Berich der „polis“ sichert, hat er die Kategorien des Denkens und damit der Sprache durch seine Herrschaft gezeichnet. Denn die These, wonach es zwischen Subjekten eines asymmetrischen Machtgefüges keinen Austausch gibt und die Sprache und Kultur des Stärkeren sich verselbständigen und der anderen ohne Vermittlung aufgezwungen werden, bedeutet für die Frau die Unmöglichkeit, sich zu „denken“ und „auszudrücken“. Sie wird im Gegenteil von dem anderen Geschlecht gedacht und gesagt. Es handelt sich um die von Luce Irigaray in „Ce sexe qui n'en est pas un“ entwickelte These.

Hier möchte ich einwenden, daß die Gewißheit, Kultur und Sprache - das ursprüngliche Eigentum der Männer und unter ihnen wiederum der mächtigsten - seien männlich geprägt, nicht bedeutet, daß das beherrschte Subjekt in deren Ausarbeitung verschwindet. Die Verhältnisse zwischen Herrschern und Beherrschten sind weder von Einseitigkeit noch von Undurchlässigkeit bestimmt. Um so mehr, wenn jenes Geschlecht beherrscht wird, aus dessen Schoß du hervorgehst und zu dem die Bindung daher so mächtig ist, daß du, um dich zu befreien, wie in dem Mythos von Orestes eine komplexe und furchtbare kulturelle Umwälzung vornehmen mußt, nämlich jenen realen und symbolischen Muttermord, den die Menschen nicht alleine zu begehen wagen. Sie brauchen die Erklärung von Pallas über den Vorrang des männlichen Samens und seine entscheidende Stimme für den Freispruch des Muttermörders. Die Frau ist nicht in der gleichen Weise wie der Sohn oder der Knecht in der Wahrnehmung anwesend, die der Mann von sich und seinem Leben hat: Sie überragt ihn in seiner Gewißheit, von ihr geboren worden zu sein und in ihren Schoß zurückkehren zu wollen, in seiner Ohnmacht während des Geschlechtsaktes, in seiner genealogischen Einmaligkeit und Einsamkeit und schließlich in der Macht der Verführung. Deshalb begleiten Haß und Liebe, Leidenschaft im eigentlichen Sinn, das Verhältnis zur Frau im Privaten.

Dies ist aber nicht ein „Nicht-Sein“, sondern eine massive und furchterregende Präsenz der „anderen“ - an nichts anderes hat uns die Psychoanalyse erinnert. Diese Präsenz ist in Kultur und Sprache eingeschrieben und zugleich verdunkelt. Deshalb sind wir keineswegs „ohne Worte“. Wir stehen vielmehr vor einem unwahren Wort, das sich als universal behauptet, vor einem unwahren Denken, das für „alle beide“ gelten soll. Das fordert von uns einen erneuten kritischen Durchgang, der unterscheidet zwischen dem, was der Herrschaft und dem, was bereits einer unausgesprochenen Vermittlung zwischen den Geschlechtern angehört.

Hier ist die Trennung zwischen den Frauen groß, die eine ähnliche Meinung wie ich vertreten, und denjenigen, die jeden kulturellen oder sprachlichen Kodex, an dem die Frau nicht autonom mitgearbeitet und in den sie sich nicht eingeschrieben hat, mit Gleichgültigkeit betrachten oder ablehnen. In diesem zweiten Fall sind die Frauen sowohl zu einer totalen Neubegründung der Kommunikation als auch zur totalen Unmöglichkeit von Kommunikation gezwungen. Doch ist es schwer zu verstehen, wie sie ihren Weg denken können, wenn jede Sprache sie verrät und leugnet.

Aus Angst vor der Zweideutigkeit des Androgynen schließt diese theoretische Linie nicht nur jede Form von Komplementarität zwischen den Geschlechtern aus, sondern auch jede Möglichkeit einer sprachlichen Vermittlung, die in irgendeiner Weise auf gemeinsamen Zeichen beruht. Viele meiner jungen Freundinnen weigern sich z.B., die Menschenrechtserklärung von 1789 in Erwägung zu ziehen. Nicht weil die damals proklamierten Rechte „unzulänglich“ wären, sondern weil die „egalite en droits“ in sich die Geschlechterdifferenz leugnen würde. Abgesehen von dem philologischen Fehler - die egalite en droits, die Rechtsgleichheit, ist gerade deshalb ein Wert, weil die Subjekte verschieden sind, und nur insofern sie dies sind scheint mir dies eher ein Alibi. Es ist eine Flucht vor der sowohl methodischen als auch sachlichen Ausarbeitung einer Politik; es handelt sich um eine weibliche Autonomie, die in der totalen Negation des bisher Gedachten bestehen soll (mir gehört nichts, was ich nicht alleine entschieden habe). Die Verlockung der

ererbten Weiblichkeit

Stark ist auch die gegenwärtig von dem Druck der bestehenden Gewalten begleitete Versuchung, sich auf die erhaltene „Weiblichkeit“ zurückzuziehen, die Neigung, dasjenige als gesellschaftliche Geschlechtsidentität zu betrachten, was uns schon immer zugesprochen worden ist: Danach ist die Frau die Repräsentantin von Leidenschaft, Affekt, Gefühl, eines besonderen Verhältnisses zum Körper und von unmittelbaren Kenntnissen und „Wissen“, die aus ihrer tausendjährigen Kenntnis des Privaten entspringen; (...) Unsere Autonomie bestünde dann hauptsächlich darin, all dem, was uns schon gehörte, aber gesellschaftlich entwertet war, ein Zeichen von Wert zu geben. Und die Dimensionen der tiefen Innerlichkeit, die Verlockung des Irrationalen als einziger Weg, den die „Differenz“ zurücklegen könnte, würde eine kostbare und unausfüllbare „declage“ (Verschiebung) zwischen unserem Terrain der Ewigkeit und der Archetypen und ihrem Terrain der Geschichte und der Gegenwart darstellen und uns so von jeglicher Übernahme historischer Verantwortung befreien. Diese Versuchung ist in unserem Erlebten festverwurzelt und erzeugt die Zweideutigkeit des weiblichen Wunsches zwischen der Lobpreisung der „intimen Mächte“ und der sozialen Frustration - oder umgekehrt. Das Recht als typisches

Gebiet der Herrschaft

Das am stärksten und vollständigsten von Mann markierte Gebiet ist das Recht als das System der zu Gesetzen gewordenen interpersonellen und sozialen Verhältnisse. Von den Herrschenden wird hier eine Vermittlung vorgenommen, die bis an die Grenze ihres Machtverlustes reicht. Auf der Ebene der Frage „Welche ist meine Freiheit? Was ist meine Macht? Über was und wen“? erfolgt ein Kompromiß zwischen Parteien, die das Recht haben zu sprechen. Und diejenigen Frauen, die dies Recht nicht haben, sind a priori entweder ohne Rechte oder nur mit scheinbaren Rechten ausgestattet.

Die Behauptung einer Differenz und damit einer weiblichen Autonomie - im vollen Sinne eines freien Subjektes - kann meines Erachtens weder vor den Formeln der Emanzipation noch vor den neuerlich von Luce Irigaray aufgeworfenen Fragen haltmachen, die die Unantastbarkeit des weiblichen Körpers (seine „Jungfräulichkeit“) und die Mutterschaft institutionell in das Recht einschreiben will.4 Nicht nur weil im gegebenen Zusammenhang diese beiden Einschreibungen letzten Endes zweideutig wären - der Mann hat auch die Frau immer als Jungfrau und Mutter gewünscht, um die Kontrolle über ihren Körper und ihre Kinder zu sichern -, sondern weil das wirklich Andere erst dann erreicht sein wird, wenn die Frau durch die Wiederaneignung ihres Körpers die männliche Genealogie und damit die Familie, wie wir sie im Westen kennengelernt haben, in Frage stellt.

Dies ist der Punkt, der das Recht und die soziale Struktur buchstäblich umwälzt: Wir sollten wirklich nicht vergessen, daß die Familie durch das Recht und die Philosophie des Rechts den Gesetzen der „polis“ entzogen ist und wiederum von denselben Gesetzen durch die Regelung der Verhältnisse, die in der polis zwischen Familienvätern gelten, geschützt worden ist. In der Familie gilt nicht das Prinzip „ein Kopf, eine Stimme“, nicht einmal unter Männern. Es zählen nicht Mehrheiten und Minderheiten. Es gibt keine Gleichheit, am wenigsten in den Rechten. Es gibt keine Freiheit, keine Brüderlichkeit, ohne sich gegen den Vater zu verschwören denn auf dem Gesetz des Vaters gründet die Macht.

Dies ist die Tatsache, die wir jeden Tag brennend zu spüren bekommen: Das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper und über die Nachkommen wird von der Frau nicht ein für allemal errungen. Während wir hier reden, wird das Abtreibungsrecht sowohl von dem amerikanischen Obersten Gerichtshof als auch von Papst Johannes Paulus II. in Frage gestellt. Nicht aus Achtung vor einem möglichen Leben - kaum etwas wird weniger geachtet als das wirkliche Leben -, sondern um die männliche Macht über die Reproduktion zu sichern. Unter diesem Gesichtspunkt sollten auch die „Bevölkerungs„politiken der Staaten und vielleicht auch die Forschungen über die künstliche Befruchtung betrachtet werden, - die es der Frau ermöglichen werden, ohne einen Partner schwanger zu werden. Aber sehr wahrscheinlich werden sie dem Mann seinerseits ermöglichen, ohne Frau Vater zu werden.

Ein Recht, das von der Differenz und Autonomie der Geschlechter ausginge, müßte also die heutige Familienstruktur zerstören, die Genealogien wieder herstellen und die soziale Arbeitsteilung zwischen Produktion und Reproduktion niederreißen.

Hier, auf diesem von den Trümmern der männlichen Herrschaft über das Paar befreiten Gebiet, könnte sich ein anderes Privatrecht und ein instituionelles Recht gründen, das imstande wäre, die Geschlechterdifferenz wahrzunehmen. Veränderungen in diesem Sinne sind ohne große Schwierigkeiten denkbar. So ist es z.B. bei der Wahl nicht unmöglich, die gemischte Mehrheit, in der die Geschlechterdifferenz verschwindet, durch eine Mehrheit zu ersetzen, die durch die Summe der weiblichen und der männlichen Wahlstimmen zustande kommt. Untersuchungen über die Wahl nach Geschlecht haben zu Ergebnissen geführt, die sich von den gemischten „Durchschnitten“ unterscheiden. Beispielsweise verschwand während der letzten Präsidentschaftswahlen in Frankreich bei den weiblichen Wahlstimmen die extreme rassistische und chauvinistische Rechte von Le Pen.

Vorstellbar wären auch Referenten nach Geschlecht dort, wo das Problem hauptsächlich die Frauen betrifft oder, hypothetisch, die Männer, je nach der Frage, die zur Debatte steht. Es würden dadurch die Unterschiede hervorgehoben und die Einrichtungen geschaffen, durch die die Gesellschaft von ihnen Kenntnis nimmt, um sich an ihnen im weiteren orientieren zu können.

Eine kohärente Verinnerlichung der primären Bedeutung der Geschlechterdifferenz würde schließlich Institutionen hervorbringen, die von beiden Geschlechtern in gleichem Maße gebildet wären: Dies wäre keine zugestandene oder entrissene Quote für die Frauen, sondern das Zugeständnis, daß die Interessen der zwei Geschlechter in einer Gesellschaft partiell verschieden sind. Dieser Vorschlag, der heute vielen skandalös vorkommen mag, würde nur die Frage der Wahlberechtigten und des Gewähltwerdens unter einen geschlechtlichen Gesichtspunkt stellen. Das ist nichts anderes als das, was die Männer lange untereinander ausgemacht haben, indem sie innerhalb ihres Geschlechts Einschlüsse oder Ausschlüsse aus dem Wahlrecht nach dem Kriterium des sozialen Status oder anderen Kriterien geregelt haben. Denn lange genug beinhaltete dies einen Typus von Gewähltem, der „alle“ Interessen vertrat: Wir wissen aber nur zu gut, wie ungerecht diese Vertretung im Verhältnis zu den Klassen, den Subalternen und Randgruppen war.

Würden die Frauen die Stellen besetzen, in denen kollektive Entscheidungen getroffen werden, und würde ihnen der Raum eingeräumt, den sie in der Gesellschaft schon haben, würde es ist fast überflüssig, das zu betonen - sich ihr Verhältnis zur Politik, der Sphäre der Entscheidungen, die alle betreffen, verändern. Wohl oder übel hat die oft theoretisierte weibliche Nichtbeteiligung an der Politik ihre Basis in der relativen Machtlosigkeit der Frauen an den Orten, in denen Entscheidungen wirklichlich getroffen werden und in denen ihre Karriere immer noch von Männern entschieden wird. Der norwegische Fall ist bezeichnend.

Wir wissen, daß die Kategorien des Rechts im Wesentlichen auf dem Tauschwert gegründet worden sind. Wenn wir davon ausgehen, daß die Frauen die Erfahrung des Gebrauchswerts verkörpern, würden sich dadurch nicht auch die Kategorien des Rechts ändern? Und wenn ja, wie? Wie sollte sich eine nach Geschlecht differenzierte Gesellschaft darstellen, welche Regeln sollte sie sich geben, was für ein Verhältnis zwischen Wählerin/Wähler und Gewählten aufbauen, welche totale, relative oder minimale Art von Autonomie der politischen gegenüber der sozialen Sphäre sollte sie gelten lassen?

Mir scheint, daß die Reflexion in diesem Zusammenhang sehr unzureichend ist. Der Selbstverständlichkeit, mit der die Männlichkeit der Rechtssprache festgestellt worden ist, folgte die Flucht ins „Damit haben wir nichts zu tun“ - so als ob wir uns nicht auf der zivilen, strafrechtlichen und institutionellen Ebene an deren Konsequenzen anpassen müßten, die die Analyse und die eigene Theoriebildung ersetzt hat. Damit würden wir das Terrain der Vermittlung zwischen den Geschlechtern als „politischen“ Subjekten finden, das bisher meist wegen der Schwierigkeiten gemieden worden ist, uns als politisches Subjekt zu denken. Anmerkungen über eine

Politik der Frauen

Aus diesen Hypothesen gehen natürlich Konsequenzen für die politische Praxis der Frauen hervor. Selbst das Wort „Politik“ wird zur Diskussion gestellt. Die Analyse des Selbst, die sich notwendigerweise auf die Kategorien des Unbewußten stützt, ist, so behaupten verschiedene italienische Frauengruppen, eine Politik im wahrsten Sinne des Wortes. Denn wir sind vom Mann gedacht worden und haben uns, wohl oder übel, jahrtausendelang in den Bildern und Darstellungen, die die männliche Sexualität erzeugte, wiedererkannt.

Die Autonomie wiederzufinden, indem bis in die Archetypen hinein die Frage der weiblichen Freiheit verfolgt wird, ist daher nicht bloß „Politik“, sondern geht ihr voraus. Denn ein in der Frage der eigenen Geschlechtsidentität und auf der Ebene der primären Beziehungen des Paares, der Mutterschaft, der Kindererziehung unsicheres und konfuses Subjekt kann nicht gesellschaftlich autonom sein.

Andere Gruppen wiederum denken, daß sich diese Autonomie auf ein anderes „Tun“ und gesellschaftliches „Sein“ gründet, die zunächst die Frau aus der Abhängigkeit vom Mann und „Lehrer“ befreie, dem im denken, im Beruf und in der politischen Praxis gefolgt werden muß. Deshalb betonen diese Frauen die Notwendigkeit, „sich gegenseitig einen Wert zu geben“ und ein weibliches Symbol zu bilden, das unsere Orientierungspunkte konstituiert und verfestigt.

Die italienischen Frauengruppen haben hier unterschiedliche Vorgehensweisen. Für die Frauen der „Libreria delle donne“ in Mailand ist das Verhältnis zwischen zwei Frauen entscheidend: eine Frau vertraut sich einer anderen an, die im gesellschaftlichen Leben erfahrener ist, so wie sich die Emanzipierte einem Mann anvertraute. Daraus entsteht der positive Wert der „Verschiedenheit“, der der „Ungleichheit“ und der ständigen Privilegierung der Beziehung unter Frauen in der Arbeit, im Beruf, in der Forschung beigemessen wird: zum Beispiel in der Wissensvermittlung.

Andere Frauengruppen, die sich auch auf die „Geschlechterdifferenz“ beziehen, wählen hingegen die Strategie des „Bündnisses unter Frauen“. Dies ist der Fall bei den italienischen Kommunistinnen, die sich in dem Slogan „Von den Frauen die Kraft der Frauen“ wiedererkennen und die die These des Anvertrauens (affidamento) und daher der Verschiedenheit nicht teilen.

Es ist nicht meine Absicht, hier auf eine Diskussion einzugehen, die in Italien geführt wird und über die einige der hier anwesenden Vertreterinnen besser als ich reden können. Mir liegt nur am Herzen, darauf hinzuweisen, daß am Ende dieser Diskussion ein ungelöstes oder ein zumindest nicht klar erfaßtes Problem steht: Ob und bis wohin die konsequent entwickelte Annahme, daß es zwei Geschlechter gibt - eine Selbstverständlichkeit unter den wenigen selbstverständlichen - zu einem anderen Umgang mit dem Geschlechterverhältnis führt und zu einer Definition des gemeinsamen Terrains, eines eigenen und vermittelten und nicht bloß ergänzenden Terrains? Oder ob uns diese Annahme am Ende zu zwei Gesellschaften, die nach Geschlecht getrennt sind, führt?

Was mich betrifft, muß ich nicht eigens sagen, daß eine parallele weibliche Gesellschaft nicht das ist, was ich als meine Perspektive betrachte. Vielmehr geht es mir um eine globale Gesellschaft, in der die Geschlechterdifferenz von einem verschleierten und ungleichen Konflikt zu einem sichtbaren übergeht. Es handelt sich hierbei um eine bislang ungelöste Dialektik, die die beiden beteiligten Parteien derart verändern wird, daß sie die Person und die soziale Organisation im Innersten umfaßt und ein anderes Licht auf die sozial-historischen Gebilde der Moderne wirft.

Aber dies ist nur einem Bemühen um Klarheit geschuldet. Was jedoch zählt, ist die Weite der Problemstellungen, die heute der Frauenbewegung offensteht, sowie die Diskussionen über das Recht, die erlauben, sie vollständig zu durchlaufen und zu erforschen.

1 Lea Melandri, Lehrerin und Feministin, veröffentlichte L'infamia originaria (Die ursprüngliche Schande), Mailand 1977. Manuela Fraire ist Psychoanalytikerin und Essayistin. (Anm. d. Üin)

2 Die „Libreria delle donne di Milano“ ist ein Mailänder Frauenbuchladen-Kollektiv. Ihre neueste Veröffentlichung: Wie weibliche Freiheit entsteht. Eine neue politische Praxis, Berlin 1988. „Diotima“ nennt sich eine Gruppe von Philosophinnen am Fachbereich Philosophie der Universität von Verona. Ihre Thesen zur Geschlechterdifferenz haben sie in einem Buch veröffentlicht: Diotima. Il pensiero della differenza sessuale, Mailand 1987. (Anm. d. Üin)

3 'Reti‘ ist die feministische Zeitschrift der der kommunistischen Partei Italiens nahestehenden Frauen. Die Carta delle donne, Frauencharta, ist der von den kommunistischen Frauen zum 18.Nationalen Parteikongreß der KPI eingereichte Antrag für eine Politik, die die Geschlechterdifferenz überall und immer anerkennt. Der Antrag wurde von der Parteitagskommission angenommen. Documenti politici dal 17. al 18. Congresso del partito communista. Rom, 18.-22. März 1989. (Anm. d. Üin)

4 R.R. bezieht sich auf die Forderung, die Luze Irigaray 1988 auf der „Festa dell‘ Unita“ in Florenz vorgetragen hat. Es geht um die Anerkennung des Rechts der Mädchen und jungen Frauen auf die körperliche Unversehrtheit (des „Rechts auf die Jungfräulichkeit“), des Rechts der Frauen auf freie Wahl der Mutterschaft und auf ein privilegiertes Verhältnis zwischen Müttern und Kindern. Das Recht auf Jungfräulichkeit, auf freie Wahl der Mutterschaft und die Anerkennung der weiblichen Genealogie sind für Irigaray grundlegend für die Bildung einer „anerkannten zivilen Identität“. Siehe das Thesenpapier Diritti e doveri civili per i due sessi. Per una rivoluzione pacifica. (Anm. d. Üin)

Der Vortrag von Rossana Rossanda wurde leicht gekürzt. Die Übersetzung übernahm Michela Betta.