Berliner Linie zur Methadonvergabe

■ Ärztekammer beschloß Methadonvergabe an Heroinabhängige im Einzelfall / Voraussetzung ist die medizinische Indikation

Der Straßenstrich als dünner Pfad, um die täglich benötigte Drogenration zu finanzieren, vier bis fünf Freier am Tag, Vergewaltigungen - Alltag für Frau X., die sich jahrelang nur mit dem regelmäßigen Schuß Heroin am Leben erhielt. Zu Hause lebte ihr sechsjähriges Kind, das in ihrer Abwesenheit von ihrem ebenfalls drogenabhängigen Ehemann betreut wurde. Unfähig, diesen Teufelskreis zu entkommen, brach Frau X. zwei Therapien erfolglos ab. Erst als sich herausstellte, daß sie HIV-positiv war, wandte sich Frau X. nochmals an einen Arzt, der sie mit Methadon behandelte. Nach einem dreiviertel Jahr Substitutionsbehandlung hat sie nun ihre soziale Situation wieder fester im Griff, eine Arbeitsstelle und eine Wohnung gefunden und sich von ihrem Mann getrennt.

Ein Fall aus der Praxis des Arztes Jörg G., der seit einem Jahr fünf ehemals Heroinabhängige mit der Ersatzdroge Methadon behandelt. Eingebettet ist diese Substitutionstherapie in eine umfassende Betreuung durch eine/n Drogenberater/in.

Ärztliche Vergabe von Methadon - das war innerhalb der Berliner Ärztekammer jahrelang heftig umstritten. Erst am Montag abend einigte sich der Vorstand auf die „Berliner Linie“: Die Vergabe von Methadon im Einzelfall und unter kontrollierten Bedingungen - unregelmäßige Urinkontrollen, Einnahme unter ärztlicher Aufsicht -, die einen Mißbrauch weitgehend ausschließen sollen. Voraussetzungen für die Substitutionstherapie ist eine vom Arzt gestellte medizinische Indikation: Der Abhängige ist entweder HIV -infiziert, bereits an Aids erkrankt, oder der Arzt diagnostiziert massive psychische und körperliche Schäden als Folge der Heroinabhängigkeit. Denn: Die Reichsversicherungsordnung erkennt zwar jegliche Form der Sucht als Krankheit an, aber die Verabreichung eines Suchtmittels zur reinen Suchtbehandlung wird von den Krankenkassen nicht finanziert. Und so können zur Zeit nur 50 von rund 7.000 Heroinabhängigen mittels Ersatz des illegalen Heroins durch das legale Methadon der Kriminalisierung entgehen. Während der Behandlung mit Methadon soll und kann sich der Abhängige wieder resozialisieren.

Die Ethikkommission in der Ärztekammer hat schon vor geraumer Zeit eine „Arbeitsgruppe Methadon“ eingerichtet. An diese AG sollen sich alle Ärzte wenden, bevor sich mit der Methadon-Substitution beginnen, um sich medizinisch und rechtlich beraten zu lassen. Als Vorsitzende dieser AG und Aids-Beauftragte der Ärztekammer erhofft sich Constanze Jacobowski, daß diese bislang ehrenamtliche Tätigkeit künftig durch eine zentrale, vom Senat finanzierte Clearing -Stelle übernommen wird. Gleichzeitig soll diese auch als Anlaufstelle für Drogenabhängige und Therapieeinrichtungen dienen. Schon allein deshalb müßten mindestens zehn weitere Stellen für DrogenberaterInnen geschaffen werden. Indes: Mit 500.000 Mark, die der Senat im Haushalt 1990 für die Methadon-Substitution zur Verfügung stellen will, lassen sich diese Forderungen im nächsten Jahr sicherlich nicht realisieren.

Martina Habersetzer