: Der Sündenbock fühlt sich pudelwohl
Der Revisionsprozeß um das Bombenattentat von Bologna 1980, das 85 Menschen das Leben kostete, fällt vor allem durch Randereignisse auf / Wieder mal soll einer alles gemacht haben / Der Mann auf der Anklagebank stellt sich auf ein langes Verfahren ein ■ Aus Bologna Werner Raith
„Nur her damit“, grinst aus seinem Käfig Valerio „Giusva“ Fioravanti, „wie war das noch mal? Wie heißt der? Renna, Rinna, Rejna? Gut, gut, wenn ihr wollt, dann hab‘ ich halt auch den umgebracht. Nur her damit, ein 'lebenslänglich‘ mehr oder weniger, was macht's schon aus?“ Im Revisionsverfahren zum Anschlag auf den Bahnhof von Bologna 1980, der 85 Menschen das Leben kostete, scheint vor allem Fioravanti unentwegt guter Laune - dies trotz des „lebenslänglich“ in erster Instanz (zusammen mit seiner Frau Francesca Mambra und zwei anderen Rechtsextremisten als „materiellem Täter„; Hintermänner fand das Gericht nicht). Und das trotz der gerade während des Prozesses ihm zugestellten weiteren Haftbefehle und Vorladungen, so etwa wegen des Mordes am sizilianischen Regionalpräsidenten Piersanti Mattarella 1980 und am Vorsitzenden der sizilianischen DC, Michele Reina 1979: Auftragsarbeiten, vermuten die Ermittler, denn die Rechtsputschisten des Fioravanti - Mitbegründer der Nuclei armati rivoluzionari (NAR) - hatten wenig mit den Sizilianern am Hut. Doch in Palermo saß ein NAR-Kollege ein, Pierluigi Concuttelli, ein hochspezialisierter Killer, und den konnten die Faschisten nur mit mafioser Hilfe heraushauen. Dafür aber wollte die Mafia die Köpfe der beiden Inselpolitiker, die der Strömung des 1978 von den linken Roten Brigaden ermordeten Aldo Moro angehörten und sachte mit einer antimafiosen Politik auf Sizilien begonnen hatten. Die Befreiung Concuttellis ging jedoch um ein Haar daneben - Grund vielleicht dafür, daß die Mafia als Ausgleich bei späteren Delikten den NAR erwiesenermaßen logistische Hilfe leistete.
Daß Fioravanti so guten Mutes ist, trotz der Anschuldigungen, könnte freilich auch damit zusammenhängen, daß er zumindest die sizilianischen Delikte wirklich nicht verübt hat (die Beweise sind nicht sehr dicht). Möglicheweise ist da wieder einmal ein schon aus früherer Zeit bekannter Mechanismus italienischer Strafverfolgung zum Zuge gekommen: Wer schon mal als Bösewicht gilt, dem kann man getrost noch tausenderlei weitere Schandtaten aufladen; man hat dann immerhin wieder mal bewiesen, daß man Fälle „aufzuklären“ versteht. „Schaut euch den Knirps da draußen an“, ruft Fioravanti uns Journalisten zu und deutet auf den nervösen braungebrannten Mann in der Saalmitte, der sich hinter der hohen Lehne fast zu verlieren scheint: „Hattet ihr's nicht jahrelang mit dem auch so wie jetzt mit mir?“ Der Kleine ist Stefano delle Chiaie, erfreut sich ungezwungener Freiheit - und war, in der Tat, dennoch fast zwei Jahrzehnte lang als so etwas wie der Oberteufel der Nation verschrien: „Oberbombenleger“, „meistgesuchter Terrorist Europas“, „Massakerspezialist“ hieß er - bis er 1987 in Bolivien (wo er tatsächlich 1980 am Putsch gegen die demokratische Präsidentin Lydia Guailer teilgenommen hatte) festgenommen und nach Italien ausgeliefert wurde. Und da sanken plötzlich nahezu alle hier gegen ihn gesammelten Anklagen in sich zusammen. Obwohl zum Beispiel seit 1980 niemand daran gezweifelt hatte, daß er der Bombenleger von Bologna sei, mußte er in erster Instanz freigesprochen werden, weil die Beweise nicht reichten; auch für die früheren Attentate wie das in Mailand 1969 (16 Tote), Brescia 1974 (acht Tote) und auf den Italicus-Schnellzug Ende 1974 (zwölf Tote) kommt er, nach neuesten Gerichtserkenntnissen, nicht in Frage. Die Spur zu ihm hielt eben genauso lange, wie man ihn nicht hatte.
Der Prozeß zweite Instanz wg. Bologna fällt ansonsten eher durch das auf, was man nicht im Gerichtssaal zu sehen bekommt. Zumal die Angeklagten (sechs NAR-Mitglieder, zwei Geheimdienstler, ein V-Mann) bisher allesamt beharrlich zur Sache und sich, wie delle Chiaie oder der wegen Spurenverwischung in erster Instanz (zusammen mit einem General und einem Oberst) zu zehn Jahren verurteilte Geheimdienstverbindungsmann Francesco Pazienza als „Justizopfer“ und „von einer gewissen Parteipresse Verfolgte“ darstellen. Das, was diesen Prozeß vor allem kennzeichnet, sind Vorgänge außerhalb des Gerichtssaals.
So trat bereits im Vorfeld des Prozesses der landesweit bekannte Anwalt Roberto Motorzi von seinem Auftrag als Vertreter der Nebenklage (zugunsten der Angehörigen der Opfer) spektakulär zurück. Hintergrund: Ein Gespräch mit dem (ebenfalls angeklagten, doch wegen der Auslieferungsbedingungen der Schweiz - wo er festgenommen worden war - nicht verfolgbaren) Logenmeister des kriminellen Geheimbundes „Propaganda2“, Licio Gelli, hatte den Advokaten davon überzeugt, daß die These eines Zusammenwirkens von „Propaganda2“, Geheimdiensten und Rechtsextremisten lediglich eine gigantische Fälschung der kommunistischen Partei sei (der er selbst angehörte und aus der er darum ebenfalls eiligst austrat). Das ließ nun den Obersten Richterrat (Corte Supremo della magistratura, CSM) nicht ruhen: Eiligst leitete er ein Disziplinarverfahren gegen die zuständigen Staatsanwälte ein, versetzte am Ende gar einen der angesehensten Ankläger Italiens, Claudio Nunziata, und entzog ihm damit das Verfahren - mit einer Begründung, die man zweimal lesen muß: „Er ist zu begierig nach Gerechtigkeit.“
So holpert der Prozeß seit vierzehn Tagen langsam vor sich hin - nächste Station wird der 14.November sein. An diesem Tag soll der Kassationsgerichtshof in Rom darüber entscheiden, ob das Verfahren überhaupt in Bologna, dem „gesetzlichen“ Prozeßort, abgewickelt werden kann: Die Verteidiger der in erster Instanz verurteilten vier „materiellen“ Täter haben „Besorgnis“ angemeldet, daß „in diesem Klima der Verfolgung und Inquisition, das derzeit in Bologna herrscht“, ein „neutraler Prozeß nicht durchführbar erscheint“. Fioravanti ist's recht - Hauptsache, das Verfahren dauert recht lange. Während der Verhandlungen nämlich hat er Gelegenheit, mit seiner - im Gefängnis geheirateten - Frau Francesca Mambra ausgiebig zusammenzusein - was er nach Abschluß nicht mehr wird können, denn selbst bei einem Freispruch ist die Liste schon rechtskräftiger Straftaten gegen ihn ellenlang.
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