: Wundersamer Giftmüll-Schwund
■ Giftmüll-Notstand verschärft sich / Seit die BSR höhere Gebühren verlangt, liefern die Betriebe weniger Abfälle ab / CDU wirft der Umweltsenatorin Untätigkeit vor
Der vielfach propagierte Ansatz, mit höheren Abgaben Unternehmen zur Vermeidung von Sondermüll anzuregen, ist in Berlin vorerst offenbar gescheitert. Seit die BSR für die Annahme von Sondermüll deutlich höhere Gebühren berechnet, entsorgen viele Betriebe ihren Giftmüll auf unbekannten Wegen und an der BSR vorbei. In der gestrigen Sitzung des parlamentarischen Umweltausschusses bestätigte BSR-Chef Georg Fischer, daß sich die Sondermüllmenge um etwa 5.000 Tonnen verringert habe. „Daß wir eine Vermeidung dieses Mülls erreicht haben, glauben wir selbst nicht“, meinte Staatssekretär Gerhard Schneider von der Senatsbetriebeverwaltung.
Für Sonderabfälle, die seit Jahresbeginn in der Sondermüllverbrennungsanlage Schöneiche/DDR verbrannt wurden, hatte die BSR die Gebühren pro Tonne von 250 auf 650 Mark heraufgesetzt. Vor allem Ölemulsionen, Ölabscheider aus Kfz-Werkstätten beispielsweise, seien danach kaum noch bei der BSR angeliefert worden, erläuterte Fischer gegenüber der taz. Der BSR-Chef hatte genau das Gegenteil erwartet: Die schärfere Überwachung der Betriebe hätte eigentlich dazu führen müssen, daß die Betriebe mehr Giftmüll bei der BSR abliefern. Fischer betrachtet es jetzt als „dringend nötig“, die Überwachung weiter zu verstärken.
Der SPD-Abgeordnete Wolfgang Behrendt bezeichnete den gestern bekannt gewordenen Giftmüll-Schwund als „alarmierend“. Wie berichtet, herrscht schon jetzt nach Ansicht von Senatsgutachtern ein „Sondermüll-Notstand“ in Berlin. Der Mangel an Informationen, Konzepten und geeigneten Entsorgungsanlagen auf dem Giftmüll-Sektor sei „katastrophal“. Der Senat schätzt die jährlich in Berlin anfallende Sondermüllmenge auf etwa 100.000 Tonnen. Die Behörden sind jedoch bisher nur über den Verbleib der 40.000 Tonnen zuverlässig informiert, die von der BSR in die DDR gebracht werden. Mangels anderer Auswege plant die Umweltverwaltung sogar, wie gestern bekannt wurde, Sondermüll auf Booten zwischenzulagern.
Dem Vorgängersenat warf Umweltsenatorin Schreyer (AL-nah) gestern im Umweltausschuß vor, er habe diese Probleme „sträflich vernachlässigt“. Mangels Vorarbeiten könne sie noch „kein fertiges Konzept“ für den Umgang mit Sondermüll vorlegen, bedauerte Schreyer. Ex-Senator Volker Hassemer (CDU) konterte, Schreyer wolle mit den Vorwürfen ihre eigene „Untätigkeit“ vertuschen. Zur Untermauerung seines Vorwurfs zitierte Hassemer aus einer internen Prioritätenliste des Senats: Ein neues Landesabfallgesetz soll danach erst im zweiten Quartal 1990, weitere Müllkonzepte in der zweiten Hälfte des Jahres verabschiedet werden.
Ein „16-Punkte-Programm gegen den Giftmüll-Notstand“ veröffentlichte gestern die AL-Fraktion. Neben einer neuen Sonderabfall-Abgabe, der schärferen Überwachung von Betrieben und einer Sanierung der DDR-Deponien Vorketzin und Deetz müsse sich der Senat in Ausnahmefällen auch vorübergehende Produktionsstillegungen „überlegen“, fordert die AL. Auch mehrere Umweltgruppen aus der DDR verlangten gestern in einer Erklärung die „sofortige Einstellung der Giftmülltransporte in die DDR und gleichzeitig Auslösen des Sondermüll-Notstandes in West-Berlin“. Wie berichtet, will Schreyer erst Anfang nächsten Jahres die Transporte flüssiger, wassergefährdender Stoffe nach Vorketzin stoppen.
hmt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen