: REZEPTE AUF 35 MILLIMETER
■ Das sechste Europäische Kurzfilmfestival Berlin hat begonnen
Veranstalter des Kurzfilmfestivals sind im sechsten Jahr nach Gründung durch den AStA der FU mittlerweile die Freunde der Deutschen Kinemathek, der Wirtschaftsverband der Berliner Filmtheater, selbstverständlich der SFB, der seit zehn Jahren unter dem Titel Projektionen Kurzfilme vorstellt, die Senatsverwaltung für kulturelle Angelegenheiten und neuerdings auch der Bundesverband Deutscher Filmproduzenten und das Bundesministerium des Inneren.
Der Katalog zum Fest erwähnt auf 96 Seiten alle, ordentlich mit Register. Auf runden 70 werden die Filme und ihre Macher vorgestellt - eine wahre Freude für HobbystatistikerInnen. Grob zusammengefaßt: sehr viele der Filme, die am Wettbewerb teilnehmen, kommen aus der Bundesrepublik und ganz viele aus Berlin. Auffällig ist die große Zahl von Dokumentararbeiten gegenüber Spielfilmen und Animationsproduktionen. Die Jury bestehend aus Filmleuten und Journalisten aus den Niederlanden, der DDR, West-Berlin und der Schweiz - mochte außerdem Musikfilme aus der UdSSR, beispielsweise über Boris Arapov oder einen Männerchor in Pskow, noch ganz im Ariel -Fieber begriffene finnische Beiträge und stieß überhaupt auf „eine ganze Reihe origineller Filme aus Skandinavien“.
Die Filme aus der DDR berichten in erster Linie über das Arbeitsleben, die aus Frankreich tummeln sich auf der Spielweise der Ästhetik, und aus der CSSR kommen - immer wieder gern gesehen - Zeichentrickfilme. Ob die Auswahl der landesüblichen Klischees zufällig oder absichtlich erfolgte, ließ sich bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht ermitteln. Jedenfalls zeigen die Veranstalter in der „Woche des Kurzfilms“, einem noch bis zum 11.November laufenden Vorfilmprogramm in verschiedenen Kinos, ausschließlich Filme aus dem Osten, um der Bedeutung der Entwicklungen der letzten Wochen in den sozialistischen Ländern gerecht zu werden.
Zu Spanien, Portugal, Italien, Griechenland und der Türkei stand im Vorwort des Katalogs nur ein lapidarer Satz: „Auffällig schwach dagegen sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht das Angebot der Mittelmeer -Anrainerstaaten.“ Wohl deshalb findet sich im Programm der griechische Beitrag Skoria Fotos, ein siebenminütiger Spielfilm zu den für Griechenland so ungewöhnlichen Themen antike Kunst, Erotik und Tod. Filme von Frauen sind ungefähr so häufig vertreten wie die wenigen, die sich in die Schublade „Experimental“ verfrachten ließen. Wenigstens gibt es eine Reihe politischer Themen: die ersten jüdischen Pogrome (Jeder konnte sehen, DDR), die Situation in Estland (Ein Kurzlehrgang des Internationalismus, UdSSR), Leistungssport (Im Namen des Sports, Bulgarien) oder kriminelle Drogenabhängige (Aby si lide vsimli, CSSR).
Weil Kurzfilme schneller als große Produktionen auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren können, aber andererseits in den Kinos nicht mehr und noch nicht wieder Platz für sie ist, soll mit dem Festival ein Forum für eben diese Kurzfilme geschaffen werden. So ordentlich und schematisch, wie die Aufgabenstellung des Festivals formuliert ist, ist auch Eberhard Weißbarths 23-minütiger Film Echo geraten. Ein Frauenmörder macht auf seiner Flucht vor der Polizei in einem Marseiller Hotelzimmer halt. Alles stimmt: sparsame Kameraführung, atmosphärisches Licht, jeder Schatten, jede Bewegung sitzt. Die wenigen anwesenden Gegenstände geraten zu bedeutungsschwangeren Symbolen, und die ewige Spiegelguckerei des Mannes läßt intensive Fassbinder-Schulung vermuten. Nicht zu vergessen die Pointe, der Wendepunkt, der sich so lange ankündigt, daß jede eventuell möglich gewesene Überraschung sich von selbst verbietet. Einer hatte eine nette Idee, und die zieht er formvollendet durch: Wir backen einenguten Kurzfilm.
An der Idee blieb auch Tilmann Kohlhaase mit Das hat mit ihrem Singen die Loreley getan kleben. Jeder hat seinen Lieblingsplatz, an dem er gern einen Film drehen würde. Kohlhaase ist der Schrottplatz, irgendwo im Ruhrgebiet, auf dem er vier Leute zufällig zusammentreffen läßt. Sie trommeln auf den Autos herum, und aus zunächst zufälligen Geräuschen entsteht ein rhythmisches Klanggeflecht. Ganz schön, zum Mitwippen. Aber daß dann noch die anrückenden Derrick-Beamten den Takt so unwiderstehlich finden und mitmachen und die Show im Knast weitergeht, das hätte nicht sein müssen. Elf Minuten können ganz schön lang sein.
Andere Kuchen schmecken besser. Klein und gut gewürzt Wojciech Ziembickis Dokumentaraufnahmen von einem, der sich mit versoffen zitternder Hand rasieren will. Das Grauen läßt sich kein Sekündchen länger ertragen. Ce qui me meut, ein fiktiver Dokumentarfilm aus Frankreich von Cedric Klapisch, zeichnet ironisch das Leben eines der vermeintlichen Erfinder des Filmes, dem Chronophotographen -Forscher Marey, nach. Wie ein alter Dokumentarfilm kommen die Bilder in einer Mischung aus Spiel- und Dokumentarfilm mit nachgestellten Archivaufnahmen daher: verwischt, zerkratzt und flackernd. Perfekt unterstützt werden sie von der pathetischen Stimme des Sprechers, der das Leben dieses außerordentlichen Mannes, dieses Helden der Wissenschaft, erzählt, als gälte es, eine Schulklasse 13jähriger zu begeistern.
Ce qui me meut macht Spaß, haut aber nicht vom Klappsessel. Vielleicht lassen sich in der Sammlung von Backrezepten für gute und nicht so gute Filme noch welche mit Rosinen finden.
Claudia Wahjudi
Sechstes Europäisches Kurzfilmprogramm vom 9. bis 12. November im Arsenal.
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