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Reformen a la Krenz

Die Reformprojekte, die Egon Krenz vor dem Zentralkomitee vorgestellt hat, gehen weiter als das, was er noch vor einer Woche in einer Fernsehansprache angekündigt hatte. Noch immer tastet sich der Generalsekretär an die entscheidenden Fragen heran. Die Rede enthält recht klare Aussagen, die dokumentieren, daß die Forderungen der „Straße“ inzwischen auch in der SED-Spitze ernst genommen werden: „Das Politbüro des Zentralkomitees ist der Meinung: Neue Bürgerbewegungen, die auf dem Boden der Verfassung der DDR wirken wollen, sollten zugelassen werden.“ Weitergehend noch die Erklärung zu den Wahlen, die Krenz in die Forderung nach einem „Wahlgesetz“ kleidete, „das eine freie, allgemeine, demokratische und geheime Wahl gewährleistet und in jedem Stadium der Wahl die öffentliche Kontrolle garantiert“.

Natürlich weiß auch Krenz, daß die SED eine solche Wahl gegenwärtig nicht gewinnen könnte. Deshalb immer wieder der Verweis auf die Verfassung, auf deren Boden sich alle bewegen müßten. Denn dort gründet die „führende Rolle“ der „Partei der Arbeiterklasse“.

In diesem Zusammenhang bemerkenswert ist, daß Krenz bei der Erläuterung der „Erneuerung unserer sozialistischen Gesellschaft“ zwar das „gesellschaftliche Eigentum an den hauptsächlichen Produktionsmitteln“ und die „politische Macht der Arbeiter und Bauern“ und auch das „Bündnis aller demokratischen Kräfte“ nennt, nicht aber eine führende Rolle der SED. Diese umschreibt er vielmehr mit den Worten: „Verantwortung unserer Partei in der Gesellschaft“. Das läßt Spielraum für eine institutionell weniger abgesicherte SED -Führungsrolle.

Dem entspricht auch die Ankündigung, daß Partei und Staatsapparat entflochten würden: „Wir werden die Verantwortung der Zentrale der Partei deutlich von der Verantwortung der Regierung abgrenzen.“ Der „Koalitionscharakter“ solle stärker ausgeprägt werden.

In der Ansprache wurde - neben dem Wahlgesetz - eine Reihe weiterer Gesetzesinitiativen angekündigt. Es soll ein „Recht auf Vereinigung der Bürger“ verabschiedet werden; ein neues Mediengesetz, das auch die Arbeit ausländischer Journalisten regelt, ist in Arbeit. Wichtig vor allem auch diese Ankündigung: „kurzfristige Änderung der Bestimmungen über Staatsverbrechen sowie Straftaten gegen die staatliche Ordnung im Strafgesetzbuch“. Dabei könnte eine Reihe von Gummiparagraphen fallen, die bisher noch jede unabhängige politische Tätigkeit oder auch nur Meinungsäußerung durch Einordnung als „Herabwürdigung“ zum unkalkulierbaren Risiko machen.

Auch zur Wirtschaft hat sich Krenz geäußert. Über eine „radikale Wirtschaftsreform“ soll eine „marktorientierte sozialistische Planwirtschaft“ angestrebt werden. Welche Wirtschaftsstruktur man darunter zu verstehen hat, liegt noch im dunkeln. Nur einige Änderungen der Wirtschaftspolitik sind angedeutet: Abbau der Subventionen; mehr Investitionen; Verlagerung von Wohnungsbaukapazitäten in die Regionen außerhalb Berlins, vor allem nach Sachsen; stärkere Betonung des Umweltschutzes schon im Planungsstadium. Darüber hinaus aber überwiegt das Bestreben, „keine hastigen Schritte“ zu tun und zuerst - wie das etwa auch von oppositionellen SED-Reformern an der Humboldt-Universität gefordert wird (siehe das taz -Tagesthema von gestern) - eine „Stabilisierung der wirtschaftlichen Situation“ zu erreichen. Walter Sü

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