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Reformen machen nur mit Mauer und Cash Sinn

■ Zollgrenzen zwischen den beiden deutschen Staaten müssen einstweilen bleiben: Unkontrollierter Grenzverkehr würde die DDR ins wirtschaftliche Chaos stürzen

Für Walter Momper „existiert die Mauer nur noch symbolisch“. Hier irrt West-Berlins Regierender Bürgermeister. Die Mauer ist nach wie vor durchaus real existierend, und sie muß dies noch auf absehbare Zeit bleiben - aus gutem Grund. So absurd es auch klingen mag: Um die DDR-Bürger zu veranlassen, ihren Wohnsitz freiwillig in ihrer Heimat zu behalten.

Hoffnungen auf freien Handelsverkehr sind auf absehbare Zeit illusorisch. Die Träume nicht nur des großen westdeutschen Kapitals, sondern auch des aufgeweckten Durchschnittsbundesbürgers würden ansonsten sehr schnell zum Alptraum für die DDR-Wirtschaft werden. Auch wenn heute noch fast alle Besucher wieder zurückfahren, so wird sich diese Frage doch ganz anders stellen, sobald sich die Besucher hier wieder ein eigenes, auf persönlichen Beziehungen beruhendes soziales Umfeld schaffen können.

Wenn dann die arbeitslosen Freaks aus Kreuzberg, aber auch der Westberliner Mittelstand ins Kaufhaus Centrum am Alexanderplatz pilgern, um nach dem Geldwechsel zum Kurs von 1:10 die subventionierten (letzten) Kotelets zum Kilopreis von acht bis zehn (Ost-)Mark aufzukaufen, dann bricht in der DDR die Hungersnot aus. Und auch, wenn Westberliner darauf spekulieren sollten, daß sie sich mit harter Westmark jetzt über Strohmänner billigen Wohnraum in Ost-Berlin besorgen könnten: Irrtum. Auch die liberalsten DDR-Regierungen können es sich nicht leisten, diese beiden Folgen eines unkontrollierten Grenzverkehrs zu tolerieren. Die Selbstverständlichkeit, mit der sich die DDRler jetzt noch Rückfahrkarten kaufen, wäre spätestens dann vorbei, denn sie wären nur noch Bürger zweiter Klasse in ihrem eigenen Land.

Mit Sicherheit werden Lebensmittel- und Wohnraumsubventionen in der DDR abgebaut werden. Auch die Opposition will diesen Schritt, der zu gehörigen Preiserhöhungen im Grundbedarf führen muß. Doch kann der nur in dem Maße vollzogen werden, wie auch das Lohnniveau nach oben angepaßt wird. Dieser Schritt ist aber direkt abhängig von der Produktivität der DDR-Wirtschaft.

Und wenn Deutschbankier Alfred Herrhausen davon ausgeht, daß die Wirtschaftsreformen in der DDR dem Lande „in fünf bis zehn Jahren“ westlichen Lebensstandard ermöglichen könnten, dann dürfte dies höchstens gelten, falls noch jemand da bleibt zum reformieren. Schon heute sind manche Buslinien eingestellt, müssen in Krankenhäusern Operationen unterbleiben, gibt's in den Kneipen keine Bedienung - die Angestellten haben sich abgesetzt.

Das Problem wird natürlich nicht nur mittels fortbestehender deutlicher Zollgrenzen anzugehen sein, wahrscheinlich dadurch noch am allerwenigsten. Entscheidend ist „Cash“, harte D-Mark für die DDR, und zwar für den Konsum. Herrhausen und andere bundesdeutsche Industrielle haben finanzielle Hilfe angekündigt, aber nur für Investitionen - für Joint ventures, für industrielle oder auch ökologische Vorhaben, die sich später auch auszahlen. Dies ist ihre betriebswirtschaftliche Rationalität. Und sobald in Karl-Marx-Stadt Polos statt Trabbis gebaut werden, dann hilft das nicht zuletzt der Westberliner Luft.

Die West-Mark jedoch, die zur kurzfristigen Anhebung des Lebensstandarts in der DDR nötig und als eine Art unverbindliches „Bleibegeld“ zu interpretieren wäre, muß von anderer Stelle kommen. Einiges Geld ist da: Noch in diesem Jahr fließen aufgrund der Hochkonjunktur 8,3 Milliarden Mark mehr als geplant in die Etats von Bund, Ländern und Gemeinden. Im kommenden sollen es knapp zwölf Milliarden sein.

In dem Maße jedoch, in dem das angekündigte Wohnungsbauprogramm Übersiedlern zugute kommt, wäre anderes sinnvoller: In den kommenden Jahren, entsprechend der Entwicklung der DDR-eigenen Wirtschaftskraft mit abnehmender Tendenz, Milliarden überweisen und als verlorene Zuschüsse verbuchen. Unseretwegen auch an die Krenz-Combo, zur Finanzierung von West-Importen. Ein gewisses Vertrauen wäre hier sogar rational - sind doch bis zu einem gewissen Grade deren Sorgen auch die Sorgen der Bundesregierung. Nur: Zweistellig müssen die Milliardenbeträge schon sein.

Auch wenn der Spruch am Brandenburger Tor (siehe Foto) höhnisch gemeint gewesen sein sollte - richtig ist er dennoch. Daran dürfte sich auch kaum etwas ändern, wenn künftig eine Koalitionsregierung - oder nach freien Wahlen vielleicht auch eine Regierung ohne SED - die wirtschaftspolitische Entwicklung der DDR bestimmt.

Die Zeit arbeitet dabei gegen alle gesellschaftlichen Gruppen in der DDR. Ökonomische Kompetenz ist, ganz anders als zu Beginn der achtziger Jahre in der Solidarnosc, bei der Opposition bislang wenig auszumachen - eindrückliches Beispiel dafür war die Inhaltsleere, mit der die Forderung nach Wirtschaftsreformen auf der Großkundgebung am Alexanderplatz am vorletzten Samstag vorgetragen wurde. Die Opposition hat sich bisher weitgehend auf bürgerrechtliche Forderungen und ihre eigene Organisierung konzentriert. Ihren Blick wendet sie allenfalls auf „brachliegenden Potenzen“ des Systems; welche Bedingungen zur „grundlegenden Änderung der wirtschaftlichen Strukturen“ gehören und welche möglichen Folgen diese Veränderungen haben können, ist noch überhaupt nicht ausgearbeitet.

Das mag mit der bisherigen Hegemonie der SED über den industriell-politischen Komplex zu begründen sein oder auch mit der Überlegung, daß es nicht Aufgabe der Opposition sein muß, der Öffentlichkeit Verzichtspolitik zu verkaufen. Doch schon kurzfristig werden sich diese Gruppen fragen lassen müssen, wie sie's denn tatsächlich besser machen wollen als die SED. Denn nichts deutet im Moment darauf hin, daß die DDR um eine Inflationswelle, weitreichende soziale Härten bei der Streichung von Subventionen und eine Vernichtung von Ersparnissen weit über das 1:10-Verhältnis herumkommen wird.

Hilflose Generaldirektoren

Durch Hilflosigkeit haben sich bislang auch die Beiträge der Generaldirektoren ausgezeichnet, die den großen VEBs vorstehen. Da ist mal von Leistungsanreizen die Rede, mal von Tarifverhandlungen mit der Belegschaft, mal von der Dezentralisierung der Entscheidungsstrukturen. Doch zusammengesetzt haben sich die Chefs bislang nicht - nicht einmal, um zu diskutieren, welche Probleme der Übergang von einer plan- oder volkswirtschaftlich orientierten Geschäftspolitik hin zu markt- oder betriebswirtschaftlichen Produktionsmodellen bringen würde, in welchen Sektoren etwa eine Umwälzung der Entscheidungs- und Produktionsstrukturen auch nur innerhalb von ein, zwei Jahren möglich, nötig und vor allem sinnvoll wäre.

Die Generaldirektoren sind mit Krisenmanagement beschäftigt, starren auf die Fachministerien oder warten auf ihre Ablösung.

Und dann die SED: Die wirtschaftspolitischen Passagen ihres Aktionsprogramms legen zwar einige neue Schwerpunkte fest, sind aber zugleich ein Sammelsurium, in der von der vermehrten Gabelstapler-Produktion bis zur Förderung des Handwerks viele Einzelmaßnahmen, nicht aber gezielte Strukturveränderungen angekündigt wurden. Was heißt denn: „Es geht um eine an den Marktbedingungen orientierte sozialistische Planwirtschaft“? Das Zentralkomitee verweist nur darauf, daß die künftige Regierung die Vorschläge genauer ausarbeiten soll.

Wie der schnelle Zerfall der unter Einkommensgesichtspunkten bislang relativ homogenen DDR -Gesellschaft in Devisenbesitzer und Nichtbesitzer, der Massenaufkauf von DDR-Grundstücken durch BundesbürgerInnen, das Leerkaufen der Ost-Läden und tatsächlich eine Hungersnot verhindert werden soll - dazu ist aus der DDR bislang noch nichts zu hören gewesen. Nur kontrollierte Transitstrecken und scharfe Zollkontrollen durch beide Seiten und an allen Grenzübergängen können die Staatspleite der DDR aufhalten und auch das ist nur ein winziger Zeitgewinn. Der muß gegen die Bevölkerung durchgesetzt werden - bis die Milliarden aus Bonn kommen.

Ulli Kulke / Dietmar Bartz

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