: Otto Schily-betr.: Parteiaustritt
betr.: Parteiaustritt
Wenn Schily formuliert, daß ihm ein bloßes Geduldetsein zu wenig sei, so bringt er auf den Punkt, was besonders schmerzlich gewesen sein muß und was mit- und nachempfindbar sein könnte, sofern eine nichtbornierte Haltung das zuzulassen imstande ist. Daß ich solch eine Haltung bei den linken Grünen kaum mehr unterstellen kann, hat mich erschrocken und irritiert, so daß es mir die Sprache verschlug: „Das darf doch nicht wahr sein!“ Es ist wahr, und ich möchte im linken Jargon einiges anmerken (was ich selbst vielleicht manchmal unter Vorurteilen vergaß):
Ja, ich möchte das Gewaltmonopol des Staates insbesondere gegen jene Typen des Bourgeois durchgesetzt wissen, die mittels Faustrecht die Flüsse vergiften - gerade auch, wenn nach der „reinen Lehre“ der Bourgeois nicht zum wirklich das Allgemeininteresse im Auge haben könnenden Staatsbürger (citoyen) werden kann, weil der Konkurrenzzwang des Marktes den universellen Egoismus erzwingt und (damit verbunden) der Staat lediglich eine „illusorische Gemeinschaft“ (Marx) sein kann, weil eben die starken ökonomischen Interessen (neben anderen Gründen) in ihm (zuallererst im Parlament) primär zur Geltung kommen. Aber eben nur primär und nicht unter allen Umständen gilt dies, hat doch „unser Klassiker“ gelehrt (vgl. MEW 18:160), daß auch eine friedliche Transformation ökonomischer Verhältnisse und des Staates durchaus möglich sei. Später würde der Staat allmählich absterben...
Was spricht also dagegen, unter linken Prämissen den Rechtsstaat fortgehend zu verbessern und ihn auch mit allen rechtlichen Mitteln durchzusetzen, wo der Gerechtigkeitssinn es wünschenswert erscheinen läßt (zum Beispiel um bisweilen überhaupt einen halbwegs fairen Prozeß durchzusetzen. Einige Linke mögen sich erinnern, daß da einmal etwas war...)?
Wahrscheinlich glaubt Schily nicht an eine staatslose Gesellschaftsutopie, daß anstelle des Staates eine gesellschaftlich-ökonomische Organisationsgesamtheit treten könnte, als eine „wirkliche Gemeinschaft“, die bruchloser bis bruchlos (keine Trennung von bürgerlicher Gesellschaft und Staat) alle Individuen ohne strukturelle Ausgrenzungsmechanismen an der allgemeinen Sache teilnehmen und teilhaben lassen könnte.
Fasse ich die antistaatliche Utopie „schwächer“ als regulatives Prinzip auf, kann ich parlamentarisch zum Beispiel durchaus für ökologische oder auch weitaus wirksamere innerbetriebliche wie volkswirtschaftliche Mitentscheidungsrechte der sogenannten ArbeitnehmerInnen streiten. Das würde die Wirtschaft demokratisieren helfen, und das heißt der Idee nach, daß eine umfassendere allgemeine Mitentscheidungs- und Beurteilungskompetenz sich an der entscheidenden ökonomischen Basis herausbilden könnte. Der Staat wäre in Folge davon ein anderer: ein weniger fremder, gewaltsam-mächtiger, bürokratischer, bevormundender etc. Also der alte Bedeutungsgehalt von „Staat“ würde sich wandeln, die alten Bedeutungen und Assoziationen würden ein wenig einschlafen (wenn diese Metapher besser gefällt), wenn der tagtäglich eingeübte Durchblick sich den Blick auf das weiterhin zu organisierende und zu verwaltende gesellschaftliche Ganze das aus Ermangelung eines anderen Begriffs noch „Staat“ genannt werden mag - dann verstärkt zutraut. Wenn also die VertreterInnen linker Positionen bei den Grünen nicht doch zu Recht der Revolutionsromantik bezichtigt werden können, dann vermag ich nicht einzusehen, warum sie nicht das Gewaltmonopol des Staates von „links“ her vertreten können. Es mag einige eitle Gründe (besser: Motive) geben, die mich hier aber nicht interessieren; dem Sachgehalt nach geht es doch wohl um eine Demokratisierung der ökonomischen Verhältnisse, die mittels staatlicher Politik im „Überbau“ (Verwaltung, Gesetzgebung, Rechtsprechung) bei Rückwirkung auf diesen möglich sein könnte. Selbst wenn Schily eine Demokratisierung der Wirtschaft ab einem gewissen Punkt nicht mehr mitmachen würde, kann - so wie ich das anzudeuten versucht habe - der Knackpunkt für Linke gar nicht das Gewaltmonopol des Staates sein.
Dann müßte mit dem Radikaldemokraten Schily darüber Konsens bestehen, daß das Gewaltmonopol des Rechtsstaates gegen den egoistischen Bourgeois (nochmals: jener Unternehmner aus Hannover zum Beispiel, der die Aller vergiftete) unverzichtbar ist.
So gesehen, schwinden die Differenzen, es sei denn, die staatslose Gesellschaftsutopie wird schlecht utopistisch zum Popanz aufgeblasen. Es ist die mit Denkfaulheit zusammengehende Arroganz vieler Linker, die möchten, daß sich die soziale Wirklichkeit von heute auf morgen zu ihren Gedanken drängt. Und diese Denkfaulheit prägt auch den innerparteilichen Umgangsstil mit: Schily kann nicht viel mehr als nur geduldet werden. Geradezu enttäuschend ist der Renegatenvorwurf von U.Briefs ('FR‘ vom 9.11.89). Das Gehirn dieses linken Oberlehrers und Technologieexperten ist mit Vorstellungen von vor 50 Jahren vernebelt. Aber die Nebelbildungen im Gehirn werden auch in jener Karikatur in der taz anschaulich, die O.Schily mit SPD-Anstecker unter der Krawatte „entlarvt“. Auf den Witzseiten mancher Springer -Illustrierten läßt sich studieren, wie stumpfe Vorurteile über die soziale Wirklichkeit bildlich zur Karikatur ihrer selbst werden.
Nun geht Schily zu der Partei, die mit an der Spitze war, als es darum ging, das „Soldaten-Urteil“ - ungelesen, versteht sich - anzupinkeln. Es ist schade, wirklich sehr schade.
Bodo Kensmann, Münster
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