piwik no script img

„Eiserner Vorhang für die Dritte Welt“

Vehemente Kritik an dem Entwurf zum Ausländergesetz / Kirchen, Wohlfahrtsverbände, Flüchtlingsorganisationen und DGB lehnen Einzelvorschriften und Geist des Gesetzes ab / „Übereinstimmung mit dem Programm der Republikaner“ / Ablehnung auch von rechts  ■  Aus Bonn Ferdos Forudastan

„Nicht ohne wesentliche Änderungen“, so erklärte Bayerns Innensminister Stoiber Ende letzter Woche, werde die CSU den Entwurf des Bundesinnenministeriums für ein neues Ausländergesetz akzeptieren. Andernfalls sei die für den 23. November vorgesehene Verabschiedung des Mammutwerkes im Bundeskabinett äußerst fraglich. Währenddessen wächst auch auf der anderen Seite der Stapel der Ablehnungen: Kirchen und Wohlfahrtsverbände, DGB, „Pro Asyl“ und „amnesty international“, der Hohe Flüchtlingskommissar, Ausländerbeauftragte, die Grünen und die Berliner AL - sie alle lehnen den Gesetzentwurf kategorisch ab. Auf einer von den grünen Bundestagsabgeordneten Erika Trenz und Herman Meneses veranstalteten Anhörung kamen letzte Woche diese Kritiker aus verschiedenen Organisationen und Verbänden zusammen und ließen kein einziges gutes Haar an den 300seitigen Opus aus dem Haus Schäuble.

Der Gesetzentwurf wirke eher ablehnend als integrierend, hatte die Ausländerbauftragte Liselotte Funcke schon Ende Oktober, geurteilt. Er lasse die Ausländer im Unklaren über ihre rechtliche Situation, die sich außerdem verschlechtern würde, kritisierte die Evangelische Kirche Deutschlands (EKD). Ihn zu verhindern sei unumgänglich, befand auch die Arbeiterwohlfahrt (AWO) bei der Anhörung.

Tatsächlich sieht der Entwurf mit seinen engen Aufenthaltsbestimmungen und erweiterten Ausweisungsregelungen eine Reihe von Schlechterstellungen für AusländerInnen vor: Eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis soll es etwa erst nach fünf Jahren geben - und dies auch nur dann, wenn die Betroffenen unter anderem „ausreichenden Wohnraum“ nachweisen können und in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis stehen. „Erhebliche Rechtsunsicherheit“ schafft nach Ansicht der EKD auch die Bestimmung, wonach eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis wieder entzogen werden kann, wenn der/die AusländerIn arbeitslos wird und auf Sozialhilfe angewiesen ist.

„Enorme Probleme, überhaupt eine Aufenthaltsberechtigung zu erlangen“, sieht die Verteterin der Ausländerbeauftragten: Diese stärkste Verfestigung des Aufenthaltsrechts soll künftig erst nach acht statt wie bisher nach fünf Jahren erteilt werden und unter den gleichen absurden Bedingungen wie die Aufenthaltserlaubnis. An ähnliche, von den meisten Betroffenen kaum erfüllbare Voraussetzungen gebunden sollen auch der Anspruch auf Nachzug der Familie und ein eigenständiges Aufenthaltsrecht für Ehegatten sein. Fast jede dieser Einzelregelungen stößt auf vehementen Protest: Daß Kinder nur noch bis zum 16. Lebenjahr nachziehen dürfen, widerspricht nach Ansicht von Liselotte Funcke der Verantwortung der Eltern für ihre minderjährigen Kinder. Als „inakzeptabel, weil absolut nicht zu verwirklichen“, bezeichnete auf der Anhörung in Bonn ein Vertreter des DGB die Voraussetzungen einer Wiederkehroption für ausländische Jugendliche, die sich nach einer Rückkehr in ihre ursprüngliche Heimat nicht mehr zurechtfinden und wieder in die Bundesrepublik zurückziehen möchten: Nach den Regierungsplänen dürfen diese Jugendlichen der zweiten und dritten Generation nur dann zurückkommen, wenn sie ihren gesamten Lebensunterhalt selbst bestreiten können und mindestens sechs Jahre hier zur Schule gegangen sind.

„Eine Farce“ nennen Experten die geplanten Einbürgerungsregelungen. Abgesehen von, marginalen Verbesserungen, hält man daran fest, daß eingebürgert nur der wird, der vorher seine alte Staatsangehörigkeit aufgibt. Auf massive Kritik der Fachleute stoßen auch die geplanten, sehr viel schärferen Ausweisungsbestimmungen. Wer wegen Geschwindigkeitsübertretungen mehrfach mit einem Bußgeld belegt wird, wer drogensüchtig ist oder aidskrank, wer Sozialhilfe braucht oder ganz allgemein die „öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen ... gefährdet“ darf ausgewiesen werden, auch wenn er schon seit vielen Jahren hier lebt.

„Der Abschreckungsgedanke des Asylrechts wird übertragen auf alle Ausländer.“ So kommentiert der Frankfurter Ausländeranwalt Victor Pfaff die geplanten Regelungen für neueinreisende AusländerInnen. Tatsächlich sollen die deutschen Auslandsvertretungen künftig nicht mehr verpflichtet sein zu begründen, weshalb sie ein Visums ablehnen. „Der eiserne Vorhang zur Zweiten Welt ist inzwischen hochgezogen, gleichzeitig rasselt der eiserne Vorhang zur Dritten Welt herunter“, meint Herbert Leuninger, Pfarrer und Sprecher der Flüchtlingsorganisation „Pro Asyl“ zu diesem Abschottungsinstrumentarium.

„Eine Konstruktion, die mit dem Programm der Republikaner übereinstimmt“, nannte ein Vertreter der AWO in seiner Stellungnahme die vom Ausländergesetzentwurf geplante Rotation ausländischer Arbeitskräfte. Um einem etwaigen zukünftigen Arbeitskräftemangel abzuhelfen, soll der Innenminister demnächst per Rechtsverordnung festlegen können, welche Personen einreisen und länger als drei Monate bleiben dürfen - freilich ohne daß sie einen Anspruch darauf erhalten, hier zu bleiben. Vor allem die Gewerkschaften laufen Sturm gegen „diese familienfeindliche Regelung, mit der eine industrielle Reservearmee aufgebaut werden soll“, so Siggi Müller von der IG Metall.

Auch den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen rief der Schäuble-Entwurf auf den Plan. Er kritisierte in harschen Worten, daß die Bundesrepublik ihren Flüchtlingen auch weiterhin nicht nach den Kriterien der Genfer Flüchtlingskonvention Asyl gewähren will und daß den sogenannten De-facto-Flüchtlinge erst nach vielen Jahren ein Daueraufenthaltrecht gewährt werde - Jahre, in denen sie ständig die Abschiebung in ihre Heimat befürchten müssen.

„Populistisch und pessimistisch“ nannten die katholischen Bischöfe den Schäuble-Entwurf und fragen öffentlich, „ob man all dem mit der Änderung von Details überhaupt begegnen kann“. So unterschiedlich die Formulierungen auch sein mögen: Abgelehnt wird das geplante Gesetz bisher von allen. Entsprechende Hirtenbriefe zu verfassen, ihn zum Inhalt rot -grüner Gespräche zu machen, noch weitaus umfassender dagegen zu agitieren - all das gehört zu den Vorschlägen, die derzeit diskutiert werden, um den Entwurf noch zu Fall zu bringen. Aber vielleicht besorgt das - aus ganz anderen Motiven - ja noch die CSU.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen