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FMLN-Guerilla geht aufs Ganze

■ El Salvadors Volksbefreiungsbewegung ruft zum bewaffneten Volksaufstand auf / Von Ralf Leonhard

El Salvadors Befreiungsbewegung hat nach drei Tagen Großoffensive, bei der es bereits über tausend Tote und Verletzte gegeben haben soll, alle von ihr kontrollierten Gebiete zu „befreiten Zonen“ erklärt. Oberbefehlshaber Villalobos forderte über Radio Venceremos am Dienstag die kämpfenden Einheiten auf, die Stellungen zu halten und den „allgemeinen Volksaufstand“ zu organisieren. Der von der Guerilla verhängte Transportboykott hat inzwischen das Alltagsleben in San Salvador völlig lahmgelegt.

Die salvadorianische FMLN-Guerilla hat am Dienstag morgen zum Volksaufstand aufgerufen. Nachdem die ersten 30 Stunden einer Großoffensive in San Salvador und meheren Provinzhauptstädten des Ostens alle Erwartungen übertroffen hatten, beschloß das Oberkommando der FMLN, aufs Ganze zu gehen und zum totalen Volksaufstand aufzurufen.

In einem Manifest an die Nation, das von Comandante Joaquin Villalobos über die Untergrundsender verlesen wurde, ruft die Guerillaführung alle ihre Truppen auf, ihre Positionen zu verteidigen und die Beteiligung der gesamten Zivilbevölkerung vorzubereiten: „Unsere Kräfte müssen darauf hinarbeiten, die totale Kontrolle des Landes zu erlangen.“ Die von der FMLN kontrollierten Gebiete in Morazan, San Miguel, La Union, Usulutan, Chalatenango, San Vicente und Cabanmas werden zu „befreiten Gebieten“ erklärt.

Mit massiven Bombardements der nördlichen und östlichen Vororte von San Salvador hatte die Armee am Montag die von der FMLN-Guerilla kontrollierten Zonen zurückzuerobern versucht. Doch obwohl Kampfflugzeuge den ganzen Vormittag über den Bezirken Zacamil, Mejicanos, Ayutuxtepeque und Soyapango kreisten und MGs und Raketen abfeuerten, konnten die Regierungstruppen die Fronten nicht aufbrechen.

Der Untergrundsender Radio Venceremos forderte die Kommandos und die Zivilbevölkerung, die von den Guerilleros aufgeklärt wird, wie sie am besten vor den Luftangriffen Schutz suchen kann, auf, die Positionen zu verteidigen, die an den roten Fähnchen hinter den Barrikaden erkannt werden können. In einer Live-Übertragung aus Mejicanos hieß es: „In diesem Kampf gibt es kein Zurück. Wir marschieren unaufhaltsam zum Sieg.“

Während die Armee versuchte, im Norden der Hauptstadt Terrain gut zu machen, gelang es den Stadtkommandos auch im Süden, im San-Jacinto-Bezirk, Fuß zu fassen und in etwa einem Kilometer Entfernung vom Präsidentenpalast Barrikaden aus Pflastersteinen und Baumstämmen zu errichten. Sogar im schwer bewachten Nobelviertel San Benito, wo die Spitzen der Bourgeoisie und der US-Botschafter wohnen, schlugen die Rebellen zu und attackierten die Polizeistation. Das Vergnügungsviertel „Zona Rosa“ wurde in den Abendstunden zum Schlachtfeld. Und auch der Sitz des Generalstabes kam einmal mehr unter Beschuß.

Der von der Guerilla verhängte Transportboykott hat das Alltagsleben völlig zum Erliegen gebracht und betrifft vor allem den Nachschub der Armee, die in den wichtigsten Provinzhauptstädten der östlichen Landeshälfte schweren Attacken ausgesetzt ist. Oberst Mauricio Vargas, der Kommandant von San Miguel, hatte am Vormittag noch großspurig behauptet, binnen acht Stunden hätte er die Lage unter Kontrolle. Doch lange nach Verstreichen dieser Frist machten die Guerilleros keine Anstalten, die mit Barrikaden abgesicherten Stadtviertel zu räumen. Auch in den Städten San Vicente und Usulutan konnten die Rebellen Stellungen erobern und verteidigen.

Eine Opferbilanz ist wegen der unübersichtlichen Lage schwer zu ziehen: 48 Stunden nach dem Beginn der Offensive spricht das FMLN-Oberkommando von ungefähr 650 Toten und Verletzten auf seiten der Streitkräfte. Die US-Botschaft weiß von 202 toten Guerilleros, von 85 Soldaten und 17 Zivilisten, die umgekommen sein sollen. Die humanitären Organisationen, die sich um die Bergung der Verletzten bemühen, haben jedoch mindestens 25 tote Zivilisten registriert. Die Leichen von 29 mutmaßlichen Guerilleros, darunter zwei Frauen, wurden Montag in einem Massengrab auf dem Zentralfriedhof verscharrt.

Regierung und Armee sind schwer verunsichert: Generalstabschef Ponce forderte die Presse auf, mit dem Regime zusammenzuarbeiten und die Berichterstattung über die Guerilla-Aktivitäten zu unterlassen. Journalisten, die sich nicht daran halten, scheinen zu Freiwild geworden zu sein. Unter dem geltenden Kriegsrecht genießen nur Militärfahrzeuge und Rettungswagen Immunität. Prompt wurden die deutlich gekennzeichneten und mit weißen Fahnen versehenen Autos eines mexikanischen Fernsehreporters und des CBS-Korrespondenten beschossen. Gegen den salvadorianischen Radioreporter Rene Hurtado erging „wegen Verbreitung falscher Nachrichten“ ein Haftbefehl. Reporter, die aus dem Ausland einreisen wollten, sollen auf dem gerade wieder geöffneten Flughafen festgehalten worden sein.

Die Salvadorianer können wählen, ob sie den Angaben der Armee über die gleichgeschalteten Radiosender Glauben schenken oder dem FMLN-Organ Radio Venceremos, das 24 Stunden auf Sendung ist. In ihrer Zwischenbilanz meldet die FMLN die Zerstörung von 20 Panzerfahrzeugen und sieben Patrouillenwagen. Der Zivilverteidigung wurden über hundert Gewehre und mehrere tausend Schuß Munition abgenommen.

Die FMLN hat es zwar allem Anschein nach nicht darauf angelegt, einen totalen Volksaufstand zu provozieren, doch deutet der Kontakt mit der sympathisierenden Bevölkerung und das Ausloten der Stimmung für eine mögliche Endoffensive auf ein solches Ziel der Militäraktionen hin.

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