: D o k u m e n t a t i o n
■ Auszüge aus Wedemeiers Regierungserklärung
Das Volk der DDR führt den eigenen Staat in die Demokratie. Unsere hilflosen, oft überzogenen und manchmal arroganten Reaktionen zeigen, daß wir darauf nicht vorbereitet sind. Trotzdem: Welch wunderbare Entwicklung... Die Spaltung Deutschlands und Europas, die so viel Leid verursacht hat, haben wir Deutsche selbst verschuldet. Umso dankbarer sind wir, daß wir erleben dürfen, wie Europa wieder zusammenwächst. Doch hüten wir uns vor allzu großen Worten und nationalem Getöse. Die Völker Europas haben zweimal in diesem Jahrhundert ein deutsches Reich erlebt, das Schrecken und Verderben über die Menschen gebracht hat. Wir müssen begreifen, daß es Ängste gibt vor einem neuen starken Deutschland...
Die Menschen in Osteuropa und vor allem in der DDR erwarten von uns nicht unbedingt das Absingen der Nationalhymne, wenn dem keine Taten folgen. Sie erwarten zu Recht solidarische Hilfe. Und wir müssen uns fragen, ob immer neue Bedingungen für die dringend notwendige Hilfe unsere Glaubwürdigkeit untermauern statt auf das Vol zu vertraueen, das in so beeindruckender Weise die bestehenden Verhältnisse radikal zu ändern entschlossen ist...
Alle Militärblöcke müssen sich in Frage stellen lassen, wenn friedliche Entwicklungen, demokratische Veränderungen dies verlangen und ermöglichen. Wennn die Entwicklung in Europa militärische Bündnisse überflüssig macht, kann das niemand bedauern. Weniger Ausgaben für die Verteidigung (gegen wen?), bedeuten auch nicht, daß die Arbeitsplätze verloren gehen, wenn wir endlich beginnen, den betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern neue Entwicklungs- und Produktionsaufgaben zuzuweisen. Viele der Betroffenen warten darauf. Was wir in diesen Tagen erleben, ist eine deutsche Revolution ohne Blutvergießen und ohne unsere Beteiligung... Wir haben uns nicht anzumaßen, den politischen Weg der DDR vorherbestimmen zu wollen.
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