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MASSENMORDVEHIKEL

■ Die allgemeine Wehrpflicht, das Kontinuum der Unbelehrbarkeit

Ob den Kaiser, „Blut und Boden“ oder aufgeschwatzte Vaterländer, zu verteidigen wußten die Herren immer genug. Die mit Tornister hinausgeschickt worden sind, waren die Dummen und blieben zu Millionen auf der Strecke.

Bei den befohlenen Gemetzeln wurde zu allen Zeiten bloß verteidigt, auch wenn es dabei meist weit nach vorne ging. Vor allem die Deutschen sind geübte Meister des Todes durch „Jawoll, Herr General“.

Die Massaker auf den Schlachtfeldern wurden nicht von Mörderbanden, Sadisten und Monstern ausgeführt, sondern von unter anderen Umständen vielleicht ehrenwerten, liebenswürdigen Mitmenschen, unseren Vätern und Nachbarn. Sie fanden nicht statt während Ären heidnischer Präkultur und archaischer Unbildung, vielmehr in Zeiten angeblich hoher christlicher Zivilisiertheit und humanistischer Aufklärung. Die Beteiligten des letzten Krieges waren nicht einmal begeisterte Krieger, wenn man Zeitzeugen glauben darf. Der brave Bürger Eichmann, der seine Arbeit für das Leben ebenso wie für das Sterben ordentlich erfüllt; Tausende und Tausende Eichmanns im Stechschritt, denen zu einem der Mut fehlte oder die nur eins vergaßen: rechtzeitig „nein“ zu sagen. Das Vehikel der Massenmordfeldzüge war die allgemeine Wehrpflicht. Den wenigen Deserteuren und WinderständlerInnen blieb auch hinterher eine offizielle Anerkennung versagt.

Und heute? Ist heute wirklich alles ganz anders?

Sicher, niemand sollte Hitler und die Menschenverachtung des Faschismus zu relativieren wagen. Deutlicher aber, viel deutlicher müssen noch die Menschenverachtung und Blutrünstigkeit unserer heutigen sogenannten Verteidigungspolitik werden.

Die Wiederbewaffnung sahen die selbsternannten Demokraten schon kurz nach dem letzten Krieg vor. Die allgemeine Wehrpflicht war ihre Folge, der Kalte Krieg Geburtshelfer. Das Alibi Ersatzdienst ist im Kontext der Gesamt(untergangs)verteidigung zum Kriegsdienst ohne Waffe verkommen. Konsequente Kriegsdienstgegner werden heute wie damals in Gefängnisse gesteckt.

Wer glaubt, das könne man nicht vergleichen, täuscht sich gewaltig und vergißt, daß es auch bei den Nazis eine Vorkriegszeit mit allgemeiner Wehrpflicht gab. Die Strafmaße gegen Verweigerer in den Jahren 1935-39 sind den jetzigen nahezu identisch. Die Begründungen der Nazigerichte ähneln vielen heutigen frappierend, ja, sogar der Wortlaut des Fahnenfluchtparagraphen ist der gleiche wie ehedem. Waren die Verweigerer wieder frei, wurden sie erneut einberufen und bestraft, wie hier und heute.

Im Krieg freilich wurde sehr schnell die Todesstrafe gegen Deserteure eingeführt. Doch „die Logik des Militärs drängt zur Todesstrafe“ auch im nächsten Krieg, sagt der Jurist Ulrich Vultejus.

Jeder heute in der BRD inhaftierte Kriegsdienstverweigerer ist trauriger Beleg dafür, daß wir nicht viel gelernt haben aus der Geschichte. Für Deserteure gilt das Lied Brechts über die „Herren“ ungebrochen: „„Ob sie besser waren oder schlimmer: ach, der Stiefel glich dem Stiefel immer, und uns trat er.“ Von der angeblichen Freiheit, die sie verteidigen sollen, bleibt für Totalverweigerer im Knast kein Jota. Ist das der Preis der Freiheit? Oder wird die globale Vernichtung der Preis sein?

Die allgemeine Wehrpflicht ist ein unseliges Relikt des Kalten Krieges. Spätestens seit letzte Woche der „Eiserne Vorhang“ gefallen ist, sollten wir begreifen, daß das primitive Freund-Feind-Weltbild obsolet ist. Totale Abrüstung ist jetzt endgültig zu fordern.

Berlin könnte hierbei aufgrund seiner besonderen Situation eine Vorreiterrolle übernehmen, indem es den entmilitarisierten Status ausbaut und durch Verbannung jeglichen Militärs umfassend Wirklichkeit werden läßt. Durch die Weigerung, Kriegsdienstgegner in westdeutsche Gefängnisse auszuliefern, könnte Berlin ein erstes Zeichen in diese Richtung setzen. Da die Regierung Momper trotz der Möglichkeit dazu diesen Schritt bisher nicht wagte und die Entscheidung darüber an die Alliierten abgab, steht zu befürchten, daß wieder einmal wider die Vernunft dem Sachzwang gehuldigt wird. Mit der unerträglichen Kontinuität ist es genug.

Gerhard Scherer

Scherer ist Berliner Totalverweigerer, dessen Auslieferung in ein westdeutsches Gefängnis bevorsteht.

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