: Der goldene Westen
(...) Alle sind im Deutschlandrausch, sogar die taz. Ich frage mich, wo bleiben die sonst so kühlen und kritischen Köpfe? Es stört und beunruhigt mich, wenn niemand öffentlich Kritik anmeldet (gab's das nicht schon mal?). So oft wie in den letzten Tagen habe ich das Wort „Wiedervereinigung“ noch nie gehört und gelesen. Ich freue mich natürlich über die neugewonnene und vor allem selbst erkämpfte Freiheit der DDR -BürgerInnen. Doch durch dieses immer und immer wieder ausgesprochene Wort „Wiedervereinigung“ komme ich ins grübeln, wird die Freude getrübt.
Was heißt denn „Wiedervereinigung“? Die wirtschaftliche und militärische Macht beider Nationen würde sich potenzieren. Es würde ein paar mehr Reiche geben und noch viel mehr Arme und Hungernde in der sogenannten Dritten Welt. Und was würde nach der DDR kommen? Polen? Dort lauern die „Deutschstämmigen“ doch jetzt schon auf ihren braunen Ärschen und warten auf das „Vierte Reich“.
Es ist schon verständlich, daß die Glitzerwelt des Ku'damms oder der Mönckebergstraße bei dem einen oder der anderen OstlerIn wahnsinnige Identitätskonflikte auslöst. Jahrelang haben sie diese Fülle der Produkte, die das Leben doch so versüßen können, nur im West-TV gesehen. Wären zwischen den Werbespots statt der Mainzelmännchen Bilder der Folgen der freien Marktwirtschaft (...Imperialismus) zum Beispiel Bilder des Hungers in Afrika gezeigt worden, oder nach einer Shampoo-Werbung beispielsweise Tierversuche aus den Labors der KapitalistInnen, dann wäre die Distanz der meisten Menschen (auch bei uns) zu diesen Produkten und folglich zu diesem System mit Sicherheit viel größer. (...)
Warum zeigt den Leuten niemand die kapitalistische BRD -Realität? Die übervollen Wartehallen der Arbeits- und Sozialämter, die vollgekotzten „Übernachtungsheime“ der Obdachlosen, die völlig überfüllten Heime der AsylbewerberInnen, die eine Oase für Kakerlaken und Wanzen sind, für Menschen aber eine Form der psychischen Folter darstellen, die ihnen keine Chance lassen, jemals (wieder) Fuß in dieser (intoleranten) Gesellschaft zu fassen. Und was ist mit den Drogensüchtigen, den AlkoholikerInnen, den PsychopathInnen, den Kaputtgearbeiteten, den Herzinfarkten, den...?
Und was ist mit den RepublikanerInnen?
Mario Birle, Hamburg
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