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Alle Parteien wollen das Tor öffnen

■ Aktuelle Stunde fand im Abgeordnetenhaus zur Deutschlandpolitik statt / Momper: „Das Tor ist nicht nur für uns, sondern für die ganze Welt das Symbol der Freiheit in Deutschland“ / Bischoff-Pflanz: „'Jetzt kommen die Deutschen‘ darf nicht heißen: 'Ausländer raus'“

Die Unterschiede in den Auffassungen zur Deutschlandpolitik blieben, doch die Töne waren gestern moderater. Gestern fand im Abgeordnetenhaus die erste Aktuelle Stunde nach Öffnung der Mauer statt. Motto: Berlin - eine Stadt der deutsch -deutschen Begegnungen. In seltener Einmütigkeit hatten sich Regierungsparteien und die Union auf dieses Thema geeinigt. Einig waren sich Vertreter von CDU, SPD und die Vertreterin der AL während der Aussprache zur Regierungserklärung in der Beurteilung der Lage in der DDR und der Situation in der Stadt.

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Eberhard Diepgen hielt für seine Partei fest an dem Ziel der „Selbstbestimmung“ und fand, daß wer für Zweistaatlichkeit eintrete, dieser Selbstbestimmung eine Absage erteile und den Menschen in der DDR etwas vorschreibe. „Wir wollen die Einheit und werben für sie“, sagte Diepgen. Ansonsten war er sich mit Momper einig, daß der Zwangsumtausch abgeschafft werden müsse und auch das Reisen von West nach Ost unbürokratischer sein müsse. Keinen Dissens gab es auch zwischen den Parteien darüber, daß die Stadtplanung neu überdacht werden muß. Die innerstädtischen Gemeinsamkeiten würden künftig integraler Bestandteil jeder Politik des Senats und des Abgeordnetenhauses sein, stellte der SPD -Fraktionsvorsitzende Staffelt fest. Zusammenarbeit müsse es auch zwischen den Universitäten der Stadt geben. Staffelt forderte, die Kommunalpolitik als „bindendes Glied zwischen beiden Teilen der Stadt“ zu nutzen. Den Forderungen nach Wiedervereinigung erteilte er eine Absage und erinnerte daran, daß keine Oppositionsgruppe in der DDR diese Forderung auf ihre Fahnen geschrieben habe. Die deutsche Frage sei nur innerhalb eines europäischen Friedensprozesses lösbar, sagte Staffelt in Übereinstimmung mit der Haltung der AL.

Heidi Bischoff-Pflanz, die AL-Fraktionsvorsitzende, sieht in der DDR eine funktionierende „Basisdemokratie“. Bezogen auf die Wirtschaftsdebatte in und über die DDR sagte Bischoff-Pflanz, zum Reichtum einer Gesellschaft gehörten nicht nur materielle Werte. In der DDR gebe es „soziale Absicherung und Solidarität“. Sie warnte auch vor einem Gegeneinander der Menschen in der Stadt. „'Jetzt kommen die Deutschen‘ darf nicht heißen 'Ausländer raus'“, sagte sie.

Zum ersten Mal hat der Regierende Bürgermeister Momper gestern den schnellen Abbau der Mauer am Brandenburger Tor gefordert. Während seiner Regierungserklärung vor dem Abgeordnetenhaus sagte er, das Tor sei nicht nur für uns, sondern für die ganze Welt das Symbol der Freiheit in Deutschland. „Und das darf nicht zugebaut werden.“ Momper wiederholte ansonsten weitgehend die Rede, die er am Morgen vor dem Bundestag gehalten hatte. Mit an der Mauer vor dem Brandenburger Tor rüttelte auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Dietmar Staffelt. „Macht das Tor auf“, rief er und nannte ein Tor als Grenze „widersinnig“.

Auffallend war, sowohl in der Rede von Walter Momper als auch beim SPD-Fraktionsvorsitzenden, der Hinweis auf die Verdienste der SPD/FDP-Koalition in der Ostpolitik. Die Debatte dauerte bei Redaktionsschluß noch an.

bf

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