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Soldaten-Urteil-betr.: Öffentliche Erklärung der Richterversammlung des Amtsgerichts Dortmund vom 8. November 1989

Öffentliche Erklärung der Richterversammlung des Amtsgerichts Dortmund vom 8. November 1989

Die Versammlung der Richterinnen und Richter des Amtsgerichts Dortmund vom 8. November 1989 erklärt zu den Vorgängen um das sogenannte Soldaten-Urteil des Landgerichts Frankfurt:

Das Grundrecht der Meinungs- und Pressefreiheit läßt weiten Spielraum für die Kritik an Gerichtsurteilen zu. An ihnen konzentriert sich oft die Auseinandersetzung unterschiedlichster Meinungen in einer pluralistischen, demokratischen Gesellschaft, wie vor dem Frankfurter Soldaten-Urteil vor allem die Entscheidung im Memminger Abtreibungsverfahren gezeigt hat.

Kritik an Gerichtsurteilen kann nach Inhalt und Form jedoch nicht schrankenlos sein. Dies gilt insbesondere, wenn Politiker und Träger hoher öffentlicher Ämter sie äußern. Vor allen ihnen gebietet das Gewaltenteilungsprinzip Mäßigung und besonderen Respekt vor der Dritten Gewalt.

Die Versammlung der Richterinnen und Richter des Amtsgerichts Dortmund hält diese Schranken angesichts der Vorgänge um das Frankfurter Soldatenurteil für überschritten.

Es wird ein Klima unerträglicher Einflußnahme auf die Unabhängigkeit der Rechtsprechung erzeugt, wenn hohe Politiker - sogar ohne die Urteilsbegründung zu kennen - die Entscheidung als Ausdruck einer verfassungsfeindlichen Gesinnung diskreditieren, wenn sie dazu auffordern, gegen die Frankfurter Richterinnen und Richter Ermittlungsverfahren wegen Rechtsbeugung einzuleiten.

In einem solchen Klima kann unabhängige Rechtsprechung zunehmend zum Risiko für die einzelnen Richter werden. Die Versammlung von Richterinnen und Richter des Amtsgerichts Dortmund erwartet in dieser Situation zur Erhaltung der politischen Kultur eine deutliche Stellungnahme des Bundesjustizministers, die die Unabhängigkeit der Dritten Gewalt betont und die Frankfurter Richterinnen und Richter vor den teilweise unzulässigen Angriffen in Schutz nimmt.

Offener Brief an das Bundesministerium für Verteidigung,

5300 Bonn

Mit Genugtuung haben wir, das heißt der Allgemeine StudentInnen-Ausschuß der Fachhochschule Wiesbaden und das ÖKOPAX-Referat des AStA, die Urteilsverkündung im Prozeß um den Spruch „Alle Soldaten sind potentielle Mörder“ vernommen. Wir sehen in diesem Urteil einen legitimen und berechtigten Ausspruch, vertreten wir doch eine ähnliche Position.

Wenn in unserer Rechtsprechung das bewußte Töten eines Menschen als Mord bezeichnet wird, so trifft dieses auch auf Soldaten zu. Die Ausbildung in der Bundeswehr, wie auch in allen anderen Armeen dieser Welt, hat als Ziel die effektivsten Möglichkeiten zur Tötung anderer Personen zu vermitteln. Dies hat schnell, billig, gründlich und möglichst mit vielen Toten auf der anderen Seite zu geschehen. Insofern sehen wir als ehemalige Angehörige dieser Bundeswehr keinerlei Unterschiede zu den anderen Armeen, auch wenn die Bundeswehr vorgeblich nur das Ziel der Verteidigung haben mag, was allerdings bezüglich des Umgangs, der Art und der Menge der Waffen nicht so ganz nachvollziehbar ist.

Wir fühlen uns durch dieses Urteil nicht beleidigt und sehen das Urteil als demokratische Meinungsäußerung an. Dagegen verwahren wir uns gegen jegliche Tendenz, auch Ihres Ministeriums, dieses Urteil als „Schandurteil“, als verfassungsfeindlich und illegitim darzustellen. Im Gegenteil: Forderungen, nun endlich Gesetze zu ändern, um so etwas in Zukunft vermeiden zu können oder einen Ehrenschutz für die Soldaten zu verlangen, erinnern uns prekär an hoffentlich nicht wiederkehrende Zeiten der Deutschen Geschichte.

Jörg Wilhelm, Referent des ÖKOPAX-Referates des AStA für den AStA der Fachhochschule Wiesbaden

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