: Keine deutsche Einheit im Fußball
■ Durch ein 2:1 gegen Wales qualifiziert sich die BRD zur Fußballweltmeisterschaft / DDR erneut gescheitert
„Die Wende nun auch im Fußball“ transparentierten DDR -Fußballfans im Wiener Prater-Stadion. Doch zumindest der Atem der Fußballgeschichte hauchte diesmal knapp an der DDR vorbei. Das 0:3 gegen Österreich versperrte den Weg zur Italien-WM 1990, den statt dessen an diesem Tag Österreich, Irland, Rumänien, die UdSSR, CSSR, Niederlande, Schottland und die BRD beschritten. Draußen vor bleiben so illustre Teams wie Frankreich, Portugal und Dänemark. Doch auch die BRD mußte bis zum Schlußpfiff bibbern. Erst dann war die letzte Monarchie auf deutschem Boden, das Imperium von Kaiser Franz dem Schaumermaligen, gerettet.
Ja, mei, was woar der Mann nervös. Einem Fernsehfuzzi deutete er mit unwirscher Geste, er möge mit dem Richtmikro bloß aus der Tiefe seines Sprachraumes entschwinden. Seine Erlasse Richtung Spielfeld zu den kickernden Untertanen brüllte er ohne die gewohnte Noblesse sehr unmajestätisch, gar manchmal mit geballter Faust. Erst den Moment des bejubelten und erlösenden Schlußpfiffs quittierte er mit einem Nicken. Offene Zeichen der Freude sind Sache eines Kaisers nicht.
Manches, sprach später Seine Fußballmajestät, Kaiser Franz I. Beckenbauer, westdeutscher Teamchef und „Nationaltrainer honoris causa“, sei durchaus „erschreckend“ gewesen; zwischendurch habe er „nicht direkt Angst gehabt“, aber immer wieder „leichte Bedenken“, wo doch bis zum Ende „das Zittern weitergegangen“ sei. Aber in diesen Momenten, als er der internationalen Pressemeute über seine grazile Seelenlage Bericht erstatten sollte, hatte er nach dem alles entscheidenden WM-Qualifikationsspiel längst die Schweißperlen von der Stirn getupft, als sei nix gewesen. Wenn es nicht geklappt hätte mit dem allseits erwarteten Sieg über die Mannschaft aus der keltischen Düsternis namens Cymru, wie Wales walisisch heißt, einem Land ohne eigene Liga, das nur ganze 50 Fußballprofis in seinen Grenzen weiß, dann, hatte Beckenbauer schon vorher verlauten lassen, wäre er von seinem Thron herabgestiegen und zurückgetreten. Ganze 42 Minuten haben an der Demission von Deutschlands letztem Kaiser gefehlt.
Die Zeit lief gegen ihn, Minute für Minute. Völlers Flugkopfball drüber (2.Minute), das Volk huldigt Ihm und den Seinen begeistert, aber der Kaiser weiß: noch 88 Minuten bis Buffalo. Buchwald vorne (4.), vergibt aber, heftiges Klatschen, aber: noch 86 Minuten bis Buffalo. Wieder Völler knapp zu spät, wieder kein Tor: noch 83 Minuten bis das WM -Schiff ausgebrannt strandet. Da sprintet ein Mann mit Namen Malcolm Allen los, spielt alle aus wie Slalomstangen und schießt ein. Jähes Entsetzen, 0:1 gegen den großen Außenseiter aus der Inselmonarchie - das heißt: noch 79 Minuten bis Waterloo.
Übergeordneten Instanzen muß in diesem Moment klargeworden sein, was das bedeutet hätte: Schon am heutigen Tage wäre der frühere Wadenbeißer aus dem Fußballvolk und Anarchist gegenüber jedweder Spielkultur, Hans-Hubert („Berti“) Vogts, Nachfolger als Nationaltrainer. So ließen die Fußballgötter über den Umweg vom Kopf des Spielers „Auge“ Augenthaler den Ball vor die Beine des römischen Stürmers Rudolf („Ruudi“) Völler fallen, der leichten Fußes ausglich. Trotz des 1:1: nur noch 64 Minuten bis Buffalo.
Vier klare Chancen hatten die Waliser allein bis zur Pause, doch der alles überragende Saunders und seine wackeren Mitkämpfer scheiterten entweder an des Kaisers letztem Mann, Bodo Illgner, oder am Pfosten. Erst als in der Halbzeitpause (noch 45 Minuten bis Buffalo) die Angst längst durch die Katakomben von Müngersdorf kroch, eine steife Polizeicombo, wie niedlich, den Fanchoral Einer geht noch, einer geht noch rein intonierte, muß ausgerechnet ein Kölner in Köln, der ausgerechnet gebürtiger Berliner ist, gut hingehört haben. Denn eben dieser Thomas Häßler, ohnehin neben den Andreassen Möller und Brehme einer der offensiv quirligen Gefolgsleute des Kaisers, knallte eine weite Flanke nur drei Minuten nach dem Tee volley ins Waliser Netz.
Doch dieses 2:1 war noch lange nicht die Sicherung der Regentschaft Franz‘ I. Sein säbelbeiniger Adjunkt Pierre („Litti“) Littbarski zirkelte einen Foulelfmeter (gefällter Völler) 15 Minuten vor dem möglichen Waterloo an den Innenpfosten, und danach regierte Seine Durchlaucht, die Angst, endgültig. Doch die Nachfahren aus dem Druidenland fanden den Weg zum deutschen Tor wie vermauert, ähnlich dem von Brandenburg, dessen Entmauerung die nationale Nation in jenen Stunden am Mittwoch abend eigentlich längst erhofft hatte. Aizlewood, der Libero, hatte die letzte Riesenchance, köpfte aber freistehend drüber, was Ehrengast Herbert Grönemeyer zur Vermutung hinriß, der Mann aus dem Land noch weiter „tief im Wehestehehen“ als Bochum werde für dieses Fehlköpfeln von den italienischen Organisatoren sicher „Pizza und Pasta auf Lebenszeit“ versprochen bekommen oder sogar „je einen Ferrari für alle“. Was man verstehen könnte: „Eine Weltmeisterschaft ohne die Deutschen ist keine richtige“, wie Wales-Trainer Yorath nachher bekannte, vor allem keine mit besonders vielen Fans und zahlungskräftigen Fernsehanstalten.
So hatte Häßlers Tor also doch, ausgerechnet in Zeiten fixer Demokratisierung in Deutschland II, die letzte Monarchie in Deutschland I gerettet. Der Kaiser auf die Frage, wie er dieses Spiel „in der Hierarchie der vielen Schlachten seiner Karriere einordnen“ wolle: „Dieses war“, sprach da der Fußballfeldherr, „von allen das wichtigste Spiel in meiner Laufbahn. Meine Mannschaft wäre die erste deutsche gewesen, die sich nicht für eine WM qualifiziert hätte. Eine solch große Blamage wollte ich mir persönlich und der Mannschaft - ersparen.“ Sprach's und nahm, das WM -Maskottchen „Ciao“ schnell ans Revers gestickert, alle Huldigungen kühl lächelnd entgegen.
Bernd Müllender, Köln
BRD: Illgner - Augenthaler (46. Reinhardt) - Reuter, Buchwald, Brehme - Häßler, Dorfner, Möller (82. Bein), Littbarski - Klinsmann, Völler
WALES: Southall - Phillips, Maguire, Aizlewood, Melville (79. Pascoe) - Nicholas, Blackmore, Bowen (65. Horne), Saunders - Hughes, Allen
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