Alle Macht den Studenten-Räten

10.000 DDR-StudentInnen auf der Straße für Reform der Hochschulpolitik / Mitbestimmung und unabhängige Studentenvertretung gefordert / Stellvertretender Hochschulminister für Dezentralisierung  ■  Aus Ost-Berlin Michael Rediske

Das Volk bleibt auf den Straßen, und jetzt sind auch die Studenten der DDR unter eigener Flagge dabei. Das war die Botschaft der rund 10.000, die gestern am späten Nachmittag zur ersten landesweiten Demonstration der HochschülerInnen nach Ostberlin gekommen waren. Neben allgemeinen politischen Forderungen wie „Tiefenreinigung statt Wiedervereinigung“ standen studentische Interessen im Vordergrund: die Anerkennung der an vielen Hochschulen gebildeten Studentenräte, Mitbestimmung, die Abschaffung des obligatorischen Marxismus-Leninismus-Unterrichts.

Vom Lustgarten auf der Spreeinsel ging der Demonstrationszug an der Volkskammer vorbei zum Bebelplatz neben der Staatsoper. Nacheinander durften dort VertreterInnen der Studentenräte jeweils drei Minuten reden. Ein Leipziger Kommilitone fand es wichtig, den niedrigen „Stellenwert geistiger Arbeit grundlegend zu verändern“ das müsse sich in den Arbeits- und Lebensbedingungen der Studierenden ausdrücken, die vor allem über ihre schlechte Wohnsituation klagen. Ute Großmann von der autonomen Fraueninitiative „Lila Offensive“ durfte (nachdem es um ihr Rederecht noch ein wenig Hin und Her gegeben hatte) für die Quotierung sprechen.

Petra Steinicke aus Greifswald entschuldigte sich unter starkem Beifall bei den chinesischen Studenten „für unser Schweigen“ nach dem Massaker im Juni. Die Architekturstudentin Uta Richter aus Dresden forderte „Eigenverantwortung und eine eigene Identität“.

Doch ob das mit oder ohne die FDJ zu schaffen ist, darüber gibt es unterschiedliche Ansichten. Petra Steinicke, Studentenrätin aus Greifswald betonte, daß man sich bewußt außerhalb der FDJ gegründet habe. An der Hochschule für industrielle Formgestaltung, so wurde angkeündigt, hat sich die FDJ schon „demokratisch aufgelöst“. Andere Gruppen wie der Berliner Sozialistische Studentenbund, dem viele FDJler angehören, wollen abwarten, ob der Jugendverband sich nicht doch „grundlegend reformiert“ und von der SED trennt. Andre Klautzsch vom FDJ-Zentralrat der FDJ ernte Gelächter, als er allzu anbiedernd die „herrlichen und klugen Losungen“ der Demonstration lobte, die auf dem FDJ-Treffen „zu Pfingsten nicht zu sehen waren“. „Wendehals“ - rief da jemand von hinten.

Glimpflicher, mit nur wenigen Pfiffen, kam da schon Professor Schwanke, der Stellvertreter des Hochschulministers weg, der ein Ende der vormilitärischen Ausbildung während der Studienzeit, den Abbau aller ungerechtfertigten Zentralisierung und „erste Schritte für demokratische Mitbestimmung“ ankündigte.

Schließlich hatte man noch „als Alt-68er“ den Westberliner Politikprofessor Johannes Agnoli auf die Tribüne gebeten, der als Lehre der damaligen Studentenrevolte vor der Integration des Protestes in die Instututionen warnte und nur in der ständigen Mobilisierung ein Heilmittel gegen die Vereinnahmung sah: „Die Straße soll die Bühne der Vernunft sein.“