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Ost-Berlin: Volk, vertrau mir, bittet Modrow

■ Neues Allparteienkabinett in der DDR / Markt als Teil sozialistischer Planwirtschaft / Frauenquote „erwogen“

Ost-Berlin (dpa/ap/taz) - Der neue Vorsitzende des Ministerrats der DDR Hans Modrow präsentierte sich in seiner gestrigen Regierungserklärung nicht als SED-Politiker, sondern als Chef einer Koalitionsregierung der fünf in der DDR vertretenen Parteien, die der Volkskammer und nicht wie bisher den Führungsgremien der Partei verantwortlich ist. Damit unterstrich er die im Zuge der Reform vorgesehene Trennung von Staat und Partei.

Das politische Reformprogramm, das Modrow erläuterte, birgt keine Überraschungen und geht nicht über die schon im Aktionsprogramm der SED vorgesehenen Schritte hinaus. Insbesondere vermied es Modrow, Position zum umstrittenen Führungsanspruch der Partei zu beziehen. Allerdings wird die Volkskammer eine Kommission berufen, die mit der nicht näher begründeten Änderung der Verfassung beauftragt werden soll. Neue deutschlandpolitische Akzente setzte Modrow dagegen mit dem Vorschlag einer „Vertragsgemeinschaft“ mit der Bundesrepublik, die weit über den Rahmen des Grundlagenvertrages hinausgehen soll. Im Verlauf der Debatte wurden besonders in der Frage der Wahlreform unterschiedliche Vorschläge entwickelt. Für Zündstoff sorgte der Vorsitzende der Liberaldemokraten (LDPD) Manfred Gerlach, der sowohl die Nationale Front als auch die künftige Vertretung der gesellschaftlichen Organisationen in der Volkskammer in Frage stellte.

Modrows verkleinerte das Kabinett von bisher 44 auf 28 Minister, darunter sind jetzt drei Frauen. Modrow stellte allerdings in Aussicht, bestimmte Frauen-„Quoten“ in gesellschaftlichen Einrichtungen zu „erwägen“. Unabhängige Vertreter wurden nicht in das Kabinett berufen. Die SED stellt nach dem Vorschlag Modrows 16 Minister, die LDPD vier, die CDU drei, die Bauernpartei zwei und die Nationaldemokraten ebenfalls zwei Minister. Neun Mitglieder, darunter Außenminister Fischer und Außenhandelsminister Beil, wurden aus dem vorherigen Kabinett übernommen. Der Kabinettsverkleinerung fiel auch das berüchtigte Ministerium für Staatssicherheit zum Opfer. Dessen Aufgaben sollen künftig von einem Amt für nationale Sicherheit übernommen werden.

Der neue DDR-Regierungschef bat die Bevölkerung um einen Vertrauensvorschuß. Er wisse, daß er damit schon viel verlange. Für die Misere in der DDR machte Modrow - in altbewährter Manier persönlicher Schuldzuweisungen - das frühere Politbüromitglied Günter Mittag verantwortlich. Modrow wies auf die Unumkehrbarkeit der demokratischen Entwicklung in der DDR hin und meinte, wer dies noch immer nicht erkenne, sei entweder „blind oder böswillig“.

Modrow erklärte, die DDR sei zur Zeit nicht in der Lage, Wirtschaftspläne für das nächste Jahr aufzustellen. Bei den Staatseinnahmen gebe es ein Defizit von 15 Milliarden DDR -Mark. Die Wirtschaftsreform bedeute nicht Abschaffung der Planung, wohl aber sollte die Regierung sich dafür einsetzen, den Markt zum organischen Bestandteil sozialistischer Planwirtschaft zu machen. Modrow sprach sich auch für eine Demokratisierung der Planung aus. Er kündigte eine Verbindung von Planung und Markt an, damit Betriebe und Kombinate „effektiv für die Bürger produzieren können“. Mittel für Investitionen müßten in den Betrieben erwirtschaftet werden, aber die Betriebe sollten auch selbst darüber verfügen können. Die Regierung, so Modrow weiter, bekenne sich zu „sozialistischem Unternehmergeist“. Dies gelte auch für private Betriebe. Die Übernahme kleinerer Unternehmen durch Privatleute im Versorgungsbereich halte Fortsetzung Seite 2

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man für möglich. Bei der Preispolitik müsse im Handwerk und Gewerbe mehr Spielraum gegeben werden. Mit Unternehmen kapitalistischer Länder sollte die Zusammenarbeit ausgebaut werden. Im Rahmen der neuen Reisefreizügigkeit müßten außerdem Maßnahmen „zum Schutz unserer Währung“ ergriffen werden.

Für das deutsch-deutsche Verhältnis unterstrich Modrow weitge

hende Verhandlungsbereitschaft der DDR. Eine Absage erteilte Modrow „ebenso unrealistischen wie gefährlichen Spekulationen“ über eine Wiedervereinigung. Die Spaltung Europas sei zu überwinden, dies dürfe aber nicht verstanden werden als Überwindung der unterschiedlichen gesellschaftlichen Ordnungen.

Der LDPD-Vorsitzende Manfred Gerlach setzte sich für allgemeine, freie „und wirklich geheime Wahlen im nächsten Jahr“ ein. Dabei dürfe es keine Einheitsliste der Nationalen Front mehr geben, betonte Gerlach

in der Aussprache über die Regierungserklärung. Nur Parteien könnten sich für die Volkskammer bewerben. Damit rührt Gerlach möglicherweise an der Mehrheitsfähigkeit der SED in der zukünftigen Volkskammer. Denn bisher beruht die Dominanz der Partei nicht allein auf den Abgeordneten der SED -Fraktion, sondern auch auf den Vertertern der gesellschaftlichen Organisationen, die zum Großteil SED -Mitglieder sind. Gerlach betonte weiter, man müsse Schritte für die Einbeziehung der neuen Bürgerbewegungen unternehmen. Strikte

Gewaltenteilung verteidigte Gerlach mit der Begründung, anders könne eine „Perversion der Macht“ und sogar „Verbrechen am Volk“ nicht verhindert werden. Der ZK -Sekretär Wolfgang Herger sprach zwar von demokratischem Sozialismus, der sich mit der Reform in der DDR Bahn breche; doch hielt Herger ausdrücklich am „bestimmenden Einfluß der Arbeiterklasse“ fest. Herger wandte sich zugleich gegen Gerlachs Forderung, die Massenorganisationen künftig keine Mandate mehr in der zuzubilligen.

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