: Das Wendland: verlassen unter Eichen
■ Herbstreise per Fahrrad durchs Wendland / Anti-Atom-Aktionen sind Erinnerung / Bei Hitzacker Elbfähre in die DDR eröffnet
Das Wendland ist weit weg. Mit dem Auto zwar nur 200 Kilometer, aber die geliebte Bahn fährt von Bremen erstmal nach Hamburg und von dort ins Wendland weiter, und Fahrräder kann man bei dieser Reise auch nicht mitnehmen. Also schnallen wir sie auf ein ungeliebtes Auto und fahren in mildem Herbstnebel quer durch die Lüneburger Heide in jenen verschwiegenen Zipfel der Bundesrepublik, in dem wir alle schon mal waren, um gegen den Bau der Gorlebener Wiederaufbereitungsanlage zu demonstrieren.
„Das waren schöne Zeiten“, erinnert sich die Führerin im Heimatmuseum von Vietze. „Damals waren wir alle mobil, besonders die ältere Generation. Die haben uns jüngere aus der Disko geholt und mit auf die Demonstrationen genommen.“ Mit dem, was von den Atombauplänen noch übrig geblieben ist, hätten sich die meisten WendländerInnen abgefunden. Das Zwischenlager wird schon mit „schwach radioaktiven“ Materialien beschickt. Ob das Endlager im Gorlebener Salzstock eingerichtet wird, ist noch offen.
Die Dörfer. Zum Beispiel Vietzke. Die Elbe, die hier auch
innerdeutsche Grenze ist, macht einen großen Bogen um einen großen flachen Hügel, der Höbeck heißt. Oben drauf, dort wo der Hügel schroff in die Elbe abfällt, liegt das Dorf. Es blickt auf den Fluß: Noch in den fünfziger Jahren gab es nur vier Häuser im Dorf, die nicht von Binnenschiffern bewohnt waren. In manchem Vorgarten steht ein Flaggenmast wie auf einem Binnenkahn und grüßt weit ins DDR-Land.
„Grenzübersichtspunkt“ heißt das Stück Rasen auf dem hohen Elbufer mit Parkbänken und Spielplatz. Die Grenze ist hier dicht geblieben. In den 50ern gab es eine Fähre von Gorleben aus, für Handel und Wandel, für BäuerInnen, die zum Arzt mußten. „Zur Fähre“ steht noch am Uferweg. Doch der endet im trüben Elbwasser. Aber: Gestern mittag wurde 40 Kilometer flußabwärts eine neue, alte Fähre wieder in Dienst gestellt: Die zwischen Hitzacker und Herrendorf (DDR).
Am Vietzer „Grenzübersichtspunkt“ kann man nicht nur in den Osten, sondern auch in die Vergangenheit blicken: Eine kleine Gedenkhalle ziert den Hügel, für die „Söhne der Heimat“, die in den beiden Weltkriegen „den Heldentod gestorben“ sind. Frische
Kränze liegen unter den Namen aus ehernen Lettern, auch einer von „Schifferverband Vietze“. Der Dorfschullehrer gründete in den dreißiger Jahren das Heimatmuseum. Im Flur hängt noch sein Bild: mit Stahlhelm und Hakenkreuz.
Ob das alles an den vielen Eichen liegt, diesen deutsch -nationalen Stambäumen? Sie wachsen auf dem ganzen Hügel, auch auf den Auwiesen an der Elbe setzen sie dunkelgrüne, wuchtige Akzente. Das Elbholz bei Restorf, da könnte wirklich die germanisch
slawische Urzeit des Wendlandes gespielt haben: Kein Weg, kein Steg, nur knorrige, uralte Bäume auf sumpfigem Boden.
Mit Eichen haben die Wendländer ihre Häuser gebaut. Aus grauen, gefurchten Eichenbalken ist das Fachwerk gefügt, die Fä
cher sind mit Ziegelsteinen ausgemauert. Die Fenster sind mit glatten, ungestrichenen Buchenbalken eingefaßt. So gesehen zum Beispiel an der kleinen Dorfkirche von Meetschow, aber auch an den Häusern von Nienwalde. Das Dorf liegt etwas abseits der Elbe, aber um so dichter an der Grenze, die bei dem Schifferstädtchen Schnackenburg die Elbe überspringt.
Vor Jahrhunderten ist Nienwalde abgebrannt, und ehe die Bauern es wieder aufbauten, mischte sich der König von Hannover mit einer Auflage ein: Viel Raum mußten die Nienwalder zwischen ihren Häusern lassen und Eichen pflanzen, damit es der rote Hahn künftig schwerer habe mit dem Springen von Haus zu Haus. Des Königs Wort spürt man im Dorf noch heute: Eichenlaub raschelt unterm Rad, und Eicheln flitschen beiseite. Wie in einem noblen Park liegen die roten Häuser. Still ist es im Dorf. Bauern gibt es nur noch zwei, RentnerInnen um so mehr. Von den landflüchtigen jungen Leuten sind inzwischen einige zurückgekehrt, als Besitzer von schmucken Ferienwohnungen in den verlassenen Bauernhäusern.
mw
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