Gewaltlosigkeit

Eine demokratische Revolution in der CSSR steht bevor  ■ K O M M E N T A R E

Es ist ja schon bewundernswert, wie friedlich die demokratischen Revolutionen in Ostmitteleuropa bisher verlaufen sind. Als in Polen Solidarnosc die Regierung übernahm, war das nicht einmal mehr überraschend. Im Schoße der alten Herrschaft Jaruzelskis hatte die Opposition langsam, aber stetig ihre Machtposition in der Gesellschaft ausgebaut und die Macht der Kommunisten unterhöhlt. Auch in Ungarn vollzog sich der Wechsel friedlich, war doch hier schon unter der Herrschaft Kadars über lange Jahre eine demokratische Öffentlichkeit herangereift, in der die Opposition im Zusammenspiel mit dem Reformflügel der Partei die Weichen der Gesellschaft in Richtung Demokratie stellen konnte. Doch schon in der DDR zeigte sich, daß das Tempo der demokratischen Revolution und das Risiko der Gewalt je größer ist, je länger sich das Regime vorher abgeschottet hatte. Wenn auch die DDR-Bürger sanft und klug vorgingen und sogar in der SED ein atemberaubender Reformprozeß sichtbar ist, wird in diesen Tagen auch immer deutlicher, wie nahe das Land einer „chinesischen Lösung“ war.

Auch in der CSSR und in Rumänien wünschen sich die Oppositionellen nichts sehnlicher als einen friedlichen Verlauf der notwendigen Umwälzungen. Doch schon jetzt ist in Prag Blut geflossen. Wenn auch der Mord an dem Studenten Schmid vermutlich allein auf das Konto der aufgeputschten Sicherheitskräfte geht, so zeigen die Ereignisse doch, daß die Machthaber mit Demonstrationen allein nicht zu vertreiben sind. Denn im Unterschied zu anderen Ländern sind in den Führungsetagen in Prag nur noch jene zu finden, die alles zu verlieren haben. In Prag wurde nach 1968 der Reformflügel systematisch aus der Partei entfernt. Mit denen, die geblieben sind, will niemand mehr Dialoge führen. Wenn jetzt schon offen über Generalstreik diskutiert wird, zeigt dies die Forderung der Tschechoslowaken an: die bedingungslose Kapitulation der Partei.

Noch härter wird die Umwälzung in Rumänien sein. Wenn nun Ceausescu am Vorabend des Parteitags die Grenze dicht macht und das chinesische Regime um Hilfe bittet, zeigt er, daß er weiß, daß auch ihm die Stunde schlagen wird. Wenn ihn nicht Militär oder Partei vorher stürzen, wird die Rache der Menschen fürchterlich sein. Ein friedlicher Übergang wie in Bulgarien jedenfalls ist kaum mehr denkbar: Schon bei dem Aufstand in Kronstadt vor zwei Jahren brannten die Parteihäuser.

Erich Rathfelder