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Aufbruch in die Gegenwart

■ Grüne Zukunftsperspektiven müssen mehr sein als Ideologieproduktion

Zehn Jahre alt werden die Grünen im Januar 1990, und gegründet wurden sie damals in Saarbrücken, wo sie nun nach Perspektiven für die Zukunft suchten. Ihre Problemanalyse eines zerstörerischen Wirtschaftssystem hat seitdem zu einem tiefgreifenden Bewußtseinswandel in der Bundesrepublik geführt, hat dafür gesorgt, daß die Ökologiefrage zum Gemeingut aller politischen Organisationen in der Bundesrepublik geworden ist und sie selbst zum etablierten Bestandteil der Parteienlandschaft.

Ein Jahr vor der Bundestagswahl aber stehen sie in Saarbrücken fast mit leeren Taschen da. Der Einbruch der Kohl-Regierung im Frühjahr hat sich auf ihrem Konto nicht niedergeschlagen. Im übrigen hat die SPD mit vielen von den Grünen geklauten Ideen ein Programm der ökologischen Erneuerung gezimmert, ohne daß die Grünen gegengehalten haben. Welche Auswirkungen der Weggang Schilys auf grünes Wählerreservoir, die neuen Mittelschichten, hat, bleibt offen. Schwerer bleibt offen. Schwerer wiegt: Der radikale demokratische Aufbruch in der DDR hat die Partei, die jahrelang ein Synonym für gesellschaftliche Demokratisierung war, kalt erwischt und verwirrt. Die Ängste vor den möglichen Gefahren einer Veränderung überwiegen; die Chancen für einen Neubau des europäischen Hauses nach ökologischen Kriterien und demokratischen Vorstellungen werden kaum artikuliert. Attraktiv ist die Partei jedenfalls nicht.

Doch diese Probleme wurden in Saarbrücken nicht angegangen. Zehn Jahre nach der Gründung wurden statt dessen ideologische Grundsatzfragen hervorgezerrt, ging es um die Rettung der sozialistischen Utopie. Es erscheint wie unwirklich, wie eine konservative Flucht aus den unbefriedigenden Niederungen des politischen Lebens in einen schönen Traum. Zukunftsperspektiven, so das paradoxe Saarbrücker Ergebnis, müßten deshalb vor allem eine Hinwendung zur Gegenwart bedeuten.

Je drängender das Szenario der Weltzerstörung, um so weniger helfen Zukunftsentwürfe, die dem Härtetest des politischen Alltags nicht standhalten. Es fehlen Antworten der Grünen auf die drängenden Fragen der Menschen, die jetzt etwas tun wollen für die Ökologie und die Demokratie in Ost und West. Der Zeigefinger der Grünen, der immer etwas von einer Erziehungsdiktatur hat, ist unangemessen: Die Menschen wissen ebenso von der Beschränktheit von „Flickwerk“ wie um die globalen Zusammenhänge. Wer das nicht sieht, braucht sich über die Folgen nicht zu wundern: CDU-Umweltminister Töpfer macht eine halbherzige bis kontraproduktive Umweltpolitik, aber er wird von der Bevölkerung inzwischen als der kompetenteste Umweltpolitiker eingestuft. Es geht aber auch um die eigenen Funktionsträger vor Ort, denen endlich die pathologische Bewußtseinsspaltung genommen werden muß, weil sie in ihren Kommunen zwar pragmatisch arbeiten, dies in der Partei aber immer noch als „Verrat“ gewertet wird. Man mag hoffen, daß sich die Grünen in Saarbrücken, wo es ausdrücklich nur um die Debatte ging und nichts entschieden wurde, nur der Lust einer radikalen Infragestellung hingegeben haben. Ist dies nicht der Fall, wird Saarbrücken in Erinnerung bleiben als Aufbruch in die Auflösung.

Gerd Nowakowski

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