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„Tausche DDR gegen Mickymaus“

■ Demonstrationen in der DDR - landauf, landab / Mehrere tausend folgten Künstleraufruf in Berlin

Berlin (afp/ap) - Auch am Wochenende sind in Ost-Berlin und in mehreren anderen Städten der DDR wieder Zehntausende Bürger auf die Straße gegangen, um für freie Wahlen und eine Beschleunigung der Reformen in ihrem Land zu demonstrieren. In Ost-Berlin folgten mehrere tausend DDR-Bürger am Sonntag vormittag einem Aufruf von Künstlern und demonstrierten für freie, allgemeine und demokratische Wahlen sowie gegen den Führungsanspruch der SED. Wie die DDR-Nachrichtenagentur 'adn‘ meldete, kamen die Demonstranten auf dem Alexanderplatz zusammen und zogen gemeinsam zum Palast der Republik, wo Modrow am Freitag seine neue Koalitionsregierung vorgestellt hatte, in der auch Nicht -Kommunisten vertreten sind.

Auf Transparenten warnten die Demonstranten vor einem Ausverkauf der DDR und wiesen darauf hin, daß die Reisefreiheit kein Schlafmittel sei. „Tausche DDR gegen Mickymaus“, „Die Mauer hat Löcher, aber die Bretter vor dem Kopf bleiben“, „Wenn das Volk nicht auf der Straße wär‘, wo kämen dann Reformen her?“ - so lauteten einige der Parolen. Auf vielen Spruchbändern hieß es denn auch: „Bürger, bleibt auf der Straße“.

Die Schauspielerin Käthe Reichel meinte, die Bilder der außerordentlichen Volkskammersitzung am Freitag und Samstag hätten gezeigt, daß die Abgeordneten die Flucht nach vorn angetreten hätten. Nachdem die SED 40 Jahre das Führungsmonopol beansprucht habe, sei das Vertrauen der Bevölkerung verlorengegangen. Der Zeichner Manfred Bofiger, Mitglied der SED, forderte unter dem Beifall der Menge, daß das Vorgehen der Sicherheitskräfte bei der Demonstration in Leipzig am 9. Oktober gänzlich aufgeklärt werde und sich Staats- und Parteichef Egon Krenz öffentlich zu dem Thema äußere. Ein Sprecher der autonomen Ökologiegruppen sagte unter Beifall, das Brandenburger Tor solle künftig nur von Fußgängern und Radfahrern passiert werden können.

Auch in Dresden demonstrierten am Sonntag Zehntausende DDR -Bürger laut 'adn‘ für Meinungsfreiheit, Presse- und Versammlungsfreiheit. Organisiert worden war die Kundgebung von der Bezirksgruppe der Gewerkschaft Kunst.

Im sächsischen Plauen hatten sich am Samstag rund 10.000 Personen vor dem Rathaus eingefunden. Im thüringischen Suhl waren etwa 5.000 DDR-Bürger dem Aufruf des Neuen Forums gefolgt, für Wirtschaftsreformen, eine Demokratisierung des politischen Lebens und den Schutz der Umwelt zu demonstrieren. In Eberswalde-Finow (Bezirk Frankfurt/Oder), wo ebenfalls das oppositionelle Neue Forum am Samstag eine Demonstration organisiert hatte, gingen über 7.000 Menschen auf die Straße.

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