Neue DDR-Regierung gewählt

■ Verkleinertes Kabinett mit erheblich verringertem SED-Anteil / Auch die Kirche in der neuen Regierung vertreten / Generalstaatsanwalt Günter Wendland gibt Mißhandlung von „Zugeführten“ zu / „Staatssicherheit“ soll um 5.000 „Mitarbeiter“ abgespeckt werden

Berlin (dpa/taz) - Auf ihrem zweiten Sitzungstag am Samstag hat die Volkskammer der DDR die neue Regierung unter Hans Modrow bei fünf Gegenstimmen und sechs Enthaltungen bestätigt. Das neue Kabinett wurde von 44 auf 28 Mitglieder verkleinert. Aus der alten Regierung wurden nur neun Minister übernommen, darunter Außenminister Oskar Fischer (SED), Justizminister Hans-Joachim Heusinger (LDPD) und der Minister für Umweltschutz Hans Reichelt (DBD). Die SED, die im letzten Kabinett noch 40 Minister gestellt hatte, verfügt jetzt nur noch über 17 Posten, die vier kleineren Parteien erhielten zusammen 21 Ministersessel. Gab es ehemals zehn stellvertretende Vorsitzende des Ministerrates, so ist ihre Zahl jetzt auf drei zusammengeschrumpft: Christa Luft (SED), Peter Moreth (LDPD) und Lothar de Maiziere (CDU).

Zu den interessanten Personen im neuen Kabinett gehört zweifellos de Maiziere, zuständig für Kirchenfragen. Der 49 -jährige Rechtsanwalt, der erst wenige Tage zuvor neuer Vorsitzender der CDU geworden war, hatte als Vizepräses der evangelischen Bundessynode deren Treffen in Eisenach mitgeprägt, auf dem vor zwei Monaten bereits weitreichende politische Reformen eingefordert worden waren. Damals waren die Kirchenleute noch vom 'Neuen Deutschland‘ heftig attackiert worden, weil sie angeblich eine „Restauration des Kapitalismus“ propagierten, heute gehören die damaligen Forderungen zum Regierungsprogramm.

Der zweite Tag der Volkskammertagung war in weiten Teilen geprägt durch den Zwischenbericht des Generalstaatsanwalts Günter Wendland zu den Ereignissen vom 7. bis 9.Oktober. Er gab sich selbstkritisch: „Das Leben lehrte uns, daß politische Konflikte nicht mit dem Strafrecht gelöst werden können. (...) Daß ich das nicht rechtzeitig genug erkannte, ist meine Verantwortung, für die ich einzustehen habe.“ Der Charakter dieser Demonstrationen sei fälschlich als anti -sozialistisch eingeschätzt worden. Die Untersuchung der Einsatzbefehle habe jedoch ergeben, daß die Sicherheitskräfte angewiesen worden seien, bei ihren Aufgaben in allen Lagen ruhig und sachlich aufzutreten. Insgesamt seien bei Polizeimaßnahmen zur Verhinderung oder Auflösung nicht angemeldeter Demonstrationen landesweit 3.456 Personen „zugeführt“ worden, vorwiegend in Berlin und Dresden. Darunter seien auch Unbeteiligte gewesen. Gegen 630 Personen sei ermittelt worden, 296 von ihnen seien kurzzeitig inhaftiert gewesen. Mit Ausnahme von mutmaßlichen Gewalttätern seien aber alle bis zum 15. Oktober wieder entlassen worden.

Wendland teilte mit, daß Festgenommene geschlagen wurden, lange sitzen oder in zum Teil schmerzhaften Stellungen stehen mußten und die gesetzlichen Fristen für Zuführungen vielfach überschritten wurden. Menschen wurden lange unter unzureichenden sanitären Bedingungen in Fahrzeugen festgehalten. Es sei unerträglich, daß Mißhandlungen noch im Gewahrsam geschahen. 480 Anzeigen und Mitteilungen, aus denen sich der Verdacht einer Straftat begründen lasse, würden untersucht. Täglich gingen neue Anzeigen ein. Man bemühe sich um die Aufhellung anonymer Anzeigen. Es gehe überwiegend um vorsätzliche Körperverletzung, Nötigung und Beleidigung.

Als Konsequenz forderte Wendland einen radikalen Bruch mit falschen Sicherheitsauffassungen, eine Neufassung des Volkspolizeigesetzes und die Tilgung aller Unterlagen aus dem Strafregister. Der Straftatbestand der Amtspflichtverletzung sollte wieder eingeführt werden und ein Gesetz über Untersuchungshaft die bisherigen „Regelungen“ ablösen. Daß politische Äußerungen grundsätzlich nicht zu kriminalisren seien, sei auch Gegenstand „einer der härtesten Auseinandersetzungen in den eigenen Reihen“. Der neue Leiter des „Amtes für nationale Sicherheit“, der Nachfolgeinstitution des Ministeriums für Staatssicherheit, Wolfgang Schwanitz (SED), erklärte in einem Interview am Freitag abend, daß daran gedacht sei, die Zahl der Mitarbeiter um 4.000 bis 5.000 zu verkleinern. Die Arbeit müsse sich nunmehr konzentrieren auf die „Aufklärung friedensgefährdender Pläne, insbesondere imperialistischer Geheimdienste, und auf die Terrorabwehr“. Eine wesentliche Aufgabe sei die Bekämpfung „verfassungsfeindlicher Angriffe, der Schutz und die Sicherung der Volkswirtschaft der DDR und nicht zuletzt der Kampf gegen Erscheinungen des Neofaschismus“.