piwik no script img

Arbeitszeitverkürzung ade?

In Frankfurt disktutierten Gewerkschafter, undogmatische Linke und Grüne über die künftige Arbeitszeitpolitik / Düstere Prognose für die 35-Stunden-Woche / Skepsis gegenüber IG Metall  ■  Aus Frankfurt Gabriele Sterkel

„Ist die Luft raus? Ist die Arbeitszeitverkürzung nicht mehr das Projekt der Linken?“ Diese an das Podium gestellte Frage war einer der zentralen Diskussionspunkte des Kongresses „Emanzipation und Solidarität“, der am Wochenende in Frankfurt stattfand. Organisiert hatte dieses zweitägige Treffen die Initiative „Lebendige Zeit - Freie Zeit“, ein Zusammenschluß von Gewerkschaftern und Intellektuellen des undogmatisch-linken Spektrums und der Grünen, das es sich zum Ziel gesetzt hat, die Umgestaltung und Umverteilung gesamtgesellschaftlicher Arbeit breit zu diskutieren. Ganz konkret soll dabei u.a. im Zusammenhang mit der Tarifrunde der IG Metall in unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen mehr Öffentlichkeit für das Thema Arbeitszeitpolitik geschaffen werden.

Bei der einleitenden Podiumsdiskussion bekamen die Gewerkschaften jedoch mehr Kritik als unterstützende Aufmunterung zu hören. Marie-Luise Beck-Oberdorf, MdB der Grünen, und die beiden Gesellschaftswissenschaftler Rudi Schmidt und Fritz Vilmar stimmten ein allgemeines Klagelied in unterschiedlichen Tonlagen an. Die Identifikation der Linken mit den Gewerkschaften sei beim Streik um die 35 -Stunden-Woche 1984 größer gewesen als jetzt. Damals habe man noch auf Arbeitszeitverkürzung gesetzt als allgemeine Strategie zur gesellschaftlichen Emanzipation. Von den Gewerkschaften allein könne man keine wirklich umfassende Strategie zum Abbau von Arbeitslosigkeit erwarten könne, meinte Fritz Vilmar. Deshalb sei eine Bündelung von gewerkschaftlichen und parlamentarischen Initiativen nötig. Die bisherige Arbeitszeitverkürzung habe keine Umverteilung der Reproduktionsarbeit zwischen den Geschlechtern erreichen können, die Frauen müßten das Problem immer noch privat lösen durch Teilzeitarbeit, kritisierte Beck-Oberdorf. Nur grundlegendere Veränderungen der Arbeitszeit hätten wirkliche Sprengkraft gehabt.

Fast übereinstimmend schätzten die Diskutanten auf dem Podium die Bedingungen für die Durchsetzung der 35-Stunden -Woche als derzeit äußerst schwierig ein. Die neokonservative Ideologie sei ins Bewußtsein der Menschen eingedrungen, die Leistungskonkurrenz habe sich erhöht, auch durch die Standort-Kampagne der Unternehmer in Hinblick auf den europäischen Binnenmarkt. Die Bereitschaft zur Solidarität sei geringer geworden. Widerspruch zu dieser Einschätzung kam nur aus dem Publikum, da saßen nämlich die Tarifexperten der IG Metall und empörten sich über den „Defätismus“ auf dem Podium. Immerhin werde die Arbeitszeitverkürzung jetzt auch in anderen Ländern glaubwürdig vorangetrieben, in Großbritannien z.B. sei bei Rolls Royce jetzt die 37-Stunden-Woche erreicht worden, und in manchen Betrieben werde sogar nur noch 35 Stunden gearbeitet, erklärte Klaus Lang, Leiter der Tarifabteilung beim IG-Metall-Vorstand.

In verschiedenen Diskussionsforen hatte sich der Kongreß unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt. Im ersten Forum ging es um die Tarifrunde 1990. In einem weiteren Forum über internationale Perspektiven wurde deutlich, daß auch die Gewerkschaften in Spanien, Italien und den Niederlanden eine wöchentliche Arbeitszeitverkürzung anstreben. Sie wollen verhindern, daß die Beschäftigten in ihren Ländern zu Streikbrechern werden, wenn die IG Metall im Frühjahr 1990 einen Arbeitskampf führt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen