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Unter grausam deutschem linken Überich

■ Zoltan Szankay zur Grünen Zwanghaftigkeit vor und nach Saarbrücken / „De facto sind die Grünen weiter als in ihren Erklärungen“

„Ziemlich negierend“ fand Zoltan Szankay die grüne Haltung zur Bewegung in der DDR in den letzten Monaten. Szankay ist Philosoph und Sozialwissenschaftler, Ungar mit argentinischer Staatsangehörigkeit, in Bremen seit langem lebend und bei den Grünen „so ziemlich seit Anfang“. Er ist gerade von dem Perspektivenkongreß in Saarbrücken zurückgekommen. Über lange Strecken hätten dort die Ängste geredet. Einer nach dem anderen hätte gesagt, was man alles nicht darf: Die DDR und ihre demokratische Revolution nicht bevormunden, nicht ihr „helfen“, nicht ihr nicht-helfen, nicht die Wiedervereinigung. Zoltan hat ein Papier gemacht, das vom grünen „Aufbruch“ mitunterzeichnet worden ist. „Dieser Perspektivenkongreß hat vor allen Dingen gezeigt, daß die Teilnahme von Vertreterinnen der demokratischen Volksbewegung in der DDR an den Perspektivdiskussionen auch der bundesdeutschen Politik, nicht nur eine notwendige, sondern auch eine politisch belebende und vorwärtsbringende Sache ist.“ Und: „Der demokratische Aufbruch in der DDR hat uns mit dem politischen Selbstbewußtsein und der Eigenständigkeit der DDR-Gesellschaft konfrontiert und damit de facto die „deutsche Frage“ verwandelt.„

Diese Spaltung zwischen einem von Verboten strotzenden linken Denken und verdrängten und unartikulierbar werdenden Gefühlen in der „deutschen Frage“ ist für Szankay das Kennzeichnende der augenblicklichen Unbeweglichkeit der Grünen.

taz: Eine der wenigen politischen Ideen der Grünen zu der anschwellenden Fluchtbewegung aus der DDR war die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft, für mich der Versuch, das Loch im Eisernen Vorhang zu stopfen. Wie siehst Du diesen Vorschlag?

Zoltan Szankay: Doch als eine eher zwanghafte Sache. Wenn man versucht, durch eine rein formale Regelung etwas zu steuern, was in den realen Empfindungen und Bezügen der Leute ganz anders funktioniert. Das ist, wie alle diese Geschichten, die mit Verdrängung zu tun haben, eine Spaltung, die die Distanz vergrößert zwischen dem, was man halbbewußt de facto tut und dem, was man meint, zu denken und was man sagt. Man hat auf dem Kongreß die Leute, die aus der DDR-Volksbegung kommen ja nicht in eine Abteilung „Internationalismus“ überwiesen. De facto ist man bei den Grünen ja viel weiter als in den Erklärungen.

Wie würdest Du das nennen, private und auf dem Kongreß auch grün-öffentliche „(„(Wieder-)Vereinigungen“, während man sich auf der politisch-deklamatorischen Ebene mit Händen und Füßen dagegen wehrt?

Szankay: Ich würde es nennen einen wichtigen de facto -Beitrag durch Momente, die die deutsche Teilung überwinden. Sie haben deshalb auch eine wichtige Perspektive für die Überwindung der europäischen Teilung. Man hält doch die Geschichte sonst immer in diesen zwei getrennten Etagen. Man sagt: Kulturelle Nähe und Dialog, das ja, aber die staatliche Seite, nein, das nicht. Man merkt damit überhaupt nicht, daß man das Politische auf das Staatliche reduziert. Ich glaube schon, daß sich vergrößernde Formen eines gemeinsamen politischen Raumes ausbilden, die nicht unbedingt mit der staatlichen Ebene zusammenfallen müssen. Ein riesiger Teil der künftigen deutschen Politik wird diese Leute dort mitbetreffen. Und sie haben ein Recht, das mit zu diskutieren. Und wenn man das mit ihnen macht, dann ist das ein Politikum, mit dem man ein Stück diese gewaltsame deutsche Teilung de facto aufhebt. Und das ist absolut richtig so.

Was ist das Verdrängte, das nur halbbewußten Aktionen zuläßt?

Szankay: Ich weiß, daß ich es leichter habe, mich zu artikulieren, wenn es um diese Überich-Geschichten von deutscher Identität geht.

Weil Du internationaler Ungar bist?

Szankay: Ja, weil ich das geschützter machen kann. Weniger der Angst vor drohender und gar als berechtigt empfundener Aggression ausgesetzt, falls man seine eigenen deutschen Teile übernimmt.

Aggression vor wem eigentlich? Die westlichen Mächte, sind ja sehr abwartend und keineswegs verbietend. Was kann uns denn passieren, wenn wir Westdeutschen z.B.sagten: Wir wollen das gern?

Szankay:Das sind ja nicht reale Ängste. Wenn Joschka Fischer z.B. sagt: Die staatliche Einheit darf nicht sein, denn die Teilung ist die Strafe für Auschwitz, dann weiß er nicht, was er damit sagt. Er bejaht damit eine deutsche Wesenheit...

die so ist, daß da in ungeteiltem Zustand immer Auschwitz rauskommen muß...

Szankay:Ja, und bejaht damit etwas, was er gerade negieren will: Daß es eine deutsche Identität gibt. Aber wie er das sagt, will er das deutsche Wesen bestrafen. Das ist ein unhistorisches, existentialisiertes Bild von der deutschen Nationalität. Und zum andern ist das ja historisch völlig inkorrekt. Weil die reale Teilung der Blocklogik geschuldet ist und nichts mit Auschwitz zu tun hat. Daß jemand eine ganz offensichtliche Falschheit in Kauf nimmt, das zeigt die Zwanghaftigkeit. Und da siehst Du die doppelte Rache der Geschichte, daß die linken Grünen sich hier mit denen vom Neuen Forum einig sind. Die einen aus dieser zwanghaft moralischen Geschichte heraus, bei den anderen muß es die deutsche Teilung aus Systemlogik geben, damit es den sozialistischen Teil Deutschlands weiter geben kann.

Fragen: Uta Stolle

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