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FLÜCHTLINGSGESPRÄCH

 ■  Durch Nichtanerkennung der DDR zur Wiedervereinigung

Weiss: Wie kann man ein wiedervereinigtes Deutschland zustandebringen?

Neuss: Mit einer Nichtanerkennung der DDR.

Weiss: Das heißt, die Produktionsmittel, die jetzt sozialisiert sind, gehen wieder zurück in den privaten Besitz, die Bodenreform wird aufgehoben zugunsten des Großgrundbesitzes, kurz, die sozialistischen Arbeiter würden mit Freuden wieder in den privaten Unternehmen arbeiten. Das wäre also die Wiedervereinigung, gesehen von Westdeutschland aus.

Neuss: Ja, das reicht noch nicht ganz, denn wir können ja - als Europäer - mit einer freien Marktwirktschaft nicht mit einem kommunistischen Polen als Nachbar leben.

Weiss: Das hieße, die sozialisierten Produktionsmittel in Polen würden wieder zurückgehen in Privatbesitz, und die feudale Klasse würde wieder ihren Großbesitz etablieren. Das wäre also eine Vereinigung Europas von Westdeutschland aus kurz, das Gespenst des Kommunismus wäre noch weiter nach Osten verschoben.

Neuss: Ja, aber das reicht noch nicht, denn eine polnische freie Marktwirtschaft mit einer Sowjetunion an der Ostgrenze, das wäre ja ein ewiger Unruheherd - und Europa erstreckt sich bis zum Ural.

Weiss: Die Eskalation müßte also weitergehen - bis an die Chinesische Mauer.

Neuss: Das wäre gut - von der anderen Seite kämen dann die Amis.

Weiss: Die sind ja schon da.

Neuss: Zu früh. Diese radikalen Amerikaner können nicht abwarten, bis wir so weit sind. Wir haben uns noch nicht genügend formiert.

Weiss: Das Zusammenspiel zwischen der freien Marktwirtschaft und der dazugehörigen schweren und effektiven Bewaffnung ist in Westdeutschland noch nicht weit genug fortgeschritten - denn diese Art von Freiheit läßt sich nur verbreiten durch äußerste militärische Unterstützung. Die Frage ist nur, ob die Sowjetunion und die Volksrepublik Polen und die DDR etwas dagegen haben.

Neuss: Ganz subjektiv gesprochen könnte ich mir vorstellen, daß die weiter nichts dagegen haben als Frieden

-und was ist das schon.

Ausschnitte aus einem Gespräch von Peter Weiss und Wolfgang Neuss, das 1966 - der kalte Krieg in Deutschland war heiß und die Amerikaner bombadierten Vietnam - im schwedischen Fernsehen gesendet wurde (aus: Das Wolfgang Neuss Buch, hrsg. V. Volker Kühn, 2001.)

Was haben sie sich geirrt, die beiden - und wie recht hatten sie! Zwar haben sich Sowjetunion, Polen und die DDR Gott sei Dank ohne militärische Eskalation der „Freiheit“ geöffnet, doch ohne „Zusammenspiel der freien Marktwirtschaft und der dazugehörigen schweren und effektiven Bewaffnung“ hätte das nicht funktioniert. Ronald Reagan, der antrat, das „Reich des Bösen“ totzurüsten, hat gesiegt, den Führern der Nachrüstung wie Helmut Schmidt (Schmidtler“ nannte Neuss ihn deswegen) hat die Geschichte recht gegeben: Ihnen verdankt das Volk der DDR die Reisefreiheit zur Butterfahrt. Leos, Pershings, SDI haben den Iwan und seine kleinen Brüder ohne einen einzigen Schuß in die Knie gerungen, die Strategie „Wir stellen ihnen einfach solange Kanonen vor die Nase, bis ihnen die Butter ausgeht“ ist aufgegangen. Jetzt braucht man nur noch den nächsten sibirischen Winter sowie ein paar eiskalte Monate in Sachsen und Thüringen abzuwarten, darauf, daß nach der Butter auch das Brot ausgeht und sich der Kampf um Lebensmittel zum Bürgerkrieg auswächst - was ist das schon.

Klar, warum Kohl und Bush sich Zeit lassen: Wie kann man ein wiedervereinigtes Deutschland zustande bringen? - Mit einer Nichtanerkennung der DDR!

Mathias Bröckers

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