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„Man kann alles spielen!“

■ Hörfunkgespräch 1989 diskutierte Musikprogramme

Die Musikprogramme im Hörfunk als „heimliches Hauptprogramm“ waren thematischer Mittelpunkt der Hörfunkgespräche, die, vom Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik und dem Adolf-Grimme-Institut veranstaltet, vergangene Woche in Frankfurt stattfanden. Moderatoren, Programmverantwortliche und -macher sowie Medienkritiker diskutierten über ebenso nichtssagende wie beliebte Schlagworte: „mehrheitsfähiges Programm“, „Dudelfunk“, „seichte Welle“ etc.

Hanns Verres, legendärer Moderator des Hessischen Rundfunks, machte seine Musikgeschichte des Hörfunks, angereichert mit zahlreichen akustischen Beispielen, zu einer Sozialgeschichte des Radios in der Nachkriegszeit. Er verdeutlichte den Einfluß der Besatzungsmächte auf das Programm und den Zusammenhang zwischen den sozialpsychologischen Befindlichkeiten der Bundesdeutschen und ihrem Musikgeschmack. Dagegen ging es dem Leiter der Abteilung U-Musik beim WDR, Rudolf Heinemann, und Wolfgang Seifert, Programmdirektor bei SFB, mehr um Legitimationsfragen. Während Heinemann die Musiksendungen als Programm für Mehrheiten sieht, die nur dann die Rundfunkgebühren rechtfertigen, wies Seigert auf die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die weitere Entwicklung der Musikkultur in der Bundesrepublik hin. Die Gebührenlegitimation ergebe sich somit vor allem aus den Programmen für Minderheiten.

Eins wurde in der Diskussion recht deutlich: Die öffentlich -rechtlichen Programmverantwortlichen haben sich offenbar aus Angst vor der privaten Konkurrenz alle einen wunderhübschen Silberblick zugelegt. Man schielt auf Mehrheiten und Minderheiten gleichermaßen.

Dieses Dilemma äußert sich noch auf einer anderen Ebene: Es gebe zuviel austuschbare Programme, beklagte Alan Bangs (WDR - und BFBS-Moderator), und die Kritikerin Sibylle Storkebaum blies ins gleiche Horn, als sie bemängelte, daß es zuviele Programme gebe, die mit zu großer Gleichgültigkeit gemacht würden. Alan Bangs sprach sich für eine breitgefächerte Mischung in den Musikprogrammen aus, denn: „Man kann alles spielen!“ Nur dazu gehöre auch ein Moderator, der verantwortlich hinter Wort und Musik stünde. Der Ruf nach solchen Persönlichkeiten vor dem Mikrofon erscholl sehr laut, erzeugte aber kaum ein Echo. Angesichts inkompetenter Herren auf höheren Ebenen, die unsachliche Vorgaben für Musikfarben und Programmstrukturen ersinnen, haben Moderatoren-Persönlichkeiten kaum noch eine Chance. „Nacht -Rock„-Fans bekommen das bald am eigenen Leib zu spüren. Die ARD-Rundfunkdirektoren haben nämlich bereits beschlossen, die seit 1985 gemeinsam ausgestrahlte Sendung aus dem Programm zu kippen, unter anderem weil ein individualistischer WDR-Moderator wie Bangs nicht mehr ins neue „cooperate-identity„-Konzept des SWF passe. Ab 1990 soll es statt der sieben unabhängigen „Nacht-Rock„ -Redaktionen eine einheitliche ARD-Nachtsendung geben.

Lothar Mikos

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