Bei Minusgrad weggeschickt

■ Ein Obdachloser auf Odyssee bei den Behörden / Moderner Hauptmann von Köpenick / Ein Fall von vielen tausend / Keiner ist zuständig für Karl-Uwe P.

„Ich komme mir vor wie der Hauptmann von Köpenick - kennen Sie den?“ Mit resignierter Stimme, übernächtigt und durchgefroren, immer wieder aber auch aufgebracht und wütend erzählt einer unter vielen tausend Obdachlosen seine Geschichte. Vor gut vierzehn Tagen ist der 31jährige Karl -Uwe P. aus der Haftanstalt in der Lehrter Straße entlassen worden. Seitdem ist er auf der Suche nach einer Unterkunft und hat eine wahre Odyssee bei verschiedenen Behörden hinter sich. Nach der Entlassung bekam er ordnungsgemäß 311 Mark und 18 Pfennig ausgezahlt, die mittlerweile aber längst aufgebraucht sind.

Noch während seiner Haft war er vom Landeseinwohneramt aufgefordert worden, sich polizeilich zu melden. Seither ist in seinem Ausweis der Bezirk Tiergarten als Wohnsitz eingetragen. Dort wollte er dann Sozialhilfe beantragen und Unterstützung bei der Suche nach einer Unterkunft. „Dort wurde mir aber gesagt, es gebe keine Möglichkeit, mir eine Unterkunft zuzuweisen.“ Und ohne festen Wohnsitz gibt's auch keine Sozialhilfe. Er sei dann nach Neukölln in die Teupitzer Straße verwiesen worden, um Haftentlassungshilfe zu beantragen, die hätten ihn wieder zurückgeschickt nach Tiergarten... Zusammen mit einem Anwalt versuchte Karl-Uwe P. dann, über eine Eingabe durch das Verwaltungsgericht seinen Anspruch auf Sozialhilfe rechtskräftig zu erwirken. Das Amt im Tiergarten hat auf diese Eingabe nicht reagiert.

„Ich schlafe ab und zu bei Kumpels oder treibe mich die ganze Nacht lang herum“, antwortet Karl-Uwe P. auf die Frage, wo er denn die Nächte verbringe. „Einmal bin ich bei Verwandten in der DDR gewesen“, aber das sei auch keine Lösung. „Hätte ich noch meinen Blauen, würde ich ja öfter rübergehen, aber den Zwangsumtausch kann ich nicht zahlen.“ Karl-Uwe P. ist DDR-Übersiedler und seit fünf Jahren in West -Berlin. Zu Beginn seines neuen Lebens sei er straffällig geworden - „im Westrausch oder sowas“ - und zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Danach arbeitete er ein Jahr lang in seinem Beruf als Maurer, mußte diese Stelle aufgeben, weil er aus seiner Wohnung raus mußte. „Ich möcht endlich wieder nach oben kommen, aber das wird wahrscheinlich nichts.“

Der Sozialstadtrat von Tiergarten, Dieter Ernst (CDU), erklärte gegenüber der taz, er werde dem Fall nachgehen. Und das tat er dann auch. Es gebe eine Reihe von Widersprüchlichkeiten, so Ernst eine Stunde später. In seinem Amt sei der Fall mehrfach geprüft worden, und die Zuständigkeit liege nicht dort. „Aus unserer Sicht liegt eine Bleibe vor“ - wo die sei, dazu wollte er sich aber nicht äußern. Er wolle der ganzen Sache aber nochmals auf den Grund gehen. Karl-Uwe fror auch vergangene Nacht erst einmal auf der Straße weiter.

kd