: Benefiz oder Malefiz? Die taz als Obsession
■ „Es gibt kein Leben nach der taz“ / Eine Beziehungkiste, aufgeschrieben für die Bremer taz und vorgetragen auf der Bene-taz-Fiz-Kulturveranstaltung / Von Detlev Michelers
Sich zu bekennen hat in unserer Welt, in der man nur noch als Fassadenkletterer überleben kann, einen klebrig, aufdringlichen Beigeschmack. Bekenntniswütige haben lediglich eine Chance im entsprechenden Ambiente: Pfarrer bekennen sich in Vorabendserien, abtreibende Männer in Hochglanzjournalen und arbeitslose Lehrerinnen bei Tango -Kursen.
Dennoch wage ich, ein klares Bekenntnis an den Beginn meiner Ausführungen zu stellen:
Ich rette seit über zehn Jahren die taz.
Der Anfänge erinnere ich mich mit Heiterkeit und jener Spur verträumter Gelassenheit, die Männer meines Alters eigen ist, die sich durch manche Nut und Feder selbstgezimmerter Beziehungskisten gezwängt haben.
Damals ... Ja, damals waren die Probleme schlichter, die Lösungen schlüssiger, die Frustrationen schleichender. Debütanten und Dilettanten, Autoren und Observatoren wollten eine täglich erscheinende Zeitung gründen - und schafften es.
Zu einem Abonnement konnte ich mich während der ersten Monate nach Geburt der Zeitung nicht durchringen. Mein intellektueller Anspruch - Vita br'evis, ars longa - verbot es mir, den Kontakt zu diesem vor sich hindümpelnden Stümperblatt zu intensivieren. Wobei ich nicht vergessen will, zu erwähnen, daß von Seiten der Zeitung nie der Versuch unternommen wurde, an mich heranzutreten, um meine Fachkunde und Wortgewandtheit zu erbitten.
Als berufsmäßiger Sympathisant wollte ich mich dennoch zu erkennen geben, und zwar nicht nur aus Hingabe. Denn der Reiz, der von der taz ausging, lag in ihrer Schmuddeligkeit, dem Charme einer leicht verwahrlosten Hündin, streunend, beißend und gleichzeitig nach Liebe schnappend.
Beinahe täglich schlich ich mich in die einschlägigen Lokale, setzte mich den jaulenden Kassetten mit Mandolinen -und Buzuki-Musik aus, sowie den üblen Gerüchen geraspelter Fleischhaufen und blasenschlagender Pizzen, um auf einen der abends ausschwärmenden taz-Verkäufer (Jawohl! Ich schwöre, ich traf nur auf Männer!) zu stoßen. Der Kaufvorgang war grundsätzlich ein Balanceakt. Einerseits mußte ich den Blick der flüchtig umherschauenden und meistens durchs Lokal huschenden Verkäufer zu bannen versuchen, andererseits sollte der Kauf wie zufällig, wie aus einer momentanen Laune entsprungen, wirken.
Sobald ich das Exemplar öffentlich erworben hatte, legte ich es mit aufgeschlagener Frontseite auf den Tisch, um ihm gelegentlich mit den Fingern zwischen die Seiten zu fahren. Der Psychologe spricht in diesem Fall von einer transmutierten Libido, der Bremer Senator für Bildung, Wissenschaft und Kunst von „Kunst im öffentlichen Raum“. Besonders intensiv betrieb ich jener Zeit bei meinen Reisen durch die Bundesrepublik die Intim-Werbung in Bahnhofsbuchhandlungen, sowie an Wasserhäuschen und Trinkbuden in Universitätsnähe, indem ich die taz verlangte, sie nicht bekam, ja, sie zumeist völlig unbekannt war, so daß ich in alter 68er Tradition aufklärerisch wirken konnte.
Es waren glückliche Momente des geschliffenen Diskurses und sinnstiftende Nachmittage, getragen vom wachsenden Vertrauen zu meiner Partnerin, der taz.
Dann setzte jedoch die erste, große Ausreißwelle ein. Tausende von Abonnentinnen und Abonnenten stimmten mit dem Kugelschreiber ab. Die Abo-Abteilung in der Wattstraße verwaiste, und in den Redaktionsstuben bunkerte sich die Gerontokratie der 35-jährigen ein, die nur noch von einem Gedanken beherrscht zu sein schien: den vierjährigen Geburtstag zu überstehen, um wenigstens noch ein halbes Jahr bis Saisonschluß die Zweit-WG in der Toscana finanzieren zu können.
Während die Abtrünnigen schmähten „Stellt Euch vor, es gibt die taz und keiner will sie“, konterte der Verlag mit dem rasanten Motto „Die real existierende taz wird siegen“ und lockte mit dem Versprechen, jede Spende sei gegen eine steuerabzugsfähige Bescheinigung konvertierbar.
Also spendete ich. Einmal, zweimal und hoffte, damit unsere offene Zweierbeziehung gefestigt zu haben.
Weit gefehlt. Denn nun setzte eine, in der bundesdeutschen Presse bis dahin unvorstellbare, Kampagne gegen Zeitungsgrossisten und Einzelhändler ein. Tenor, der sich von Tag zu Tag steigernden Indoktrination, die taz erhalte von jedem verkauften Blatt nur 10 Pfennige, jedes Abonnement entscheide über Aufstieg oder Niedergang.
Nach wenigen Monaten zeigte der „Groschen„-Terror Wirkung. Ich übernahm ein Knast-Abo und glaubte damit, einen Kompromiß gefunden zu haben, der die kommenden Jahre halten würde.
Doch es war nur die Ruhe vor dem Sturm. Die taz begann mit der Regionalisierung und traf mich an meiner empfindlichsten Stelle, da ich aus früheren zwischenmenschlichen Kontakten einige Leute kannte, die nun in der Bremer Regionalnische unterkamen.
Wie konnte ich einer dieser PersonInnen über ein zu mürbe geratenes Saltimbocca hinweg noch unbeschwert ins Auge blicken, wenn ihre berufliche Zukunft von meinem Abo abhing?
Die persönliche Leser-Blatt-Bindung schlug voll durch. Nach jahrelangem, zähen Kampf um meine Unabhängigkeit gab ich auf und abonnierte.
Der tägliche Bezug der taz - lasse ich das Zufälligkeitsprinzip bei der Lieferung außer acht - war jedoch nicht mehr als ein unkontrolliertes Planschen in sturmgepeitschter See. Immer öfter sprangen mir auf den Regionalseiten abstürzende Bilanznasen entgegen, folgte der Abschwung der Baisse, der möglichen Pleite der wahrscheinliche Konkurs.
Angst nistete sich bei mir ein. Jetzt, da ich Druckfehler nicht mehr registrierte und mir vergessene Absätze nicht mehr fehlten, spürte ich die tiefe Abhängigkeit, in die ich geraten war, und die nur noch ein Gefühl zuließ: das existenzielle Bibbern, verlassen zu werden. Ich reagierte unbeholfen und planlos. Wenn ich verreiste, bestellte ich die Zeitung selten ab, kaufte mir stattdessen in der Fremde eine Zweitausgabe und verschenkte - nach wiederholten Stakkatos über die grauenvollen Zukunftsaussichten - ein Kurzabo an meinen Sohn: seit Jahren getrennt von mir lebend, war er der einzige Mensch, dem ich es auf Grund unserer kameradschaftlich geprägten Vergangenheit zumuten konnte, dieser Zeitung unvorbereitet und unerwartet ausgeliefert zu werden.
Durfte ich nun hoffen, mein verbliebenes, mageres Einkommen als freiberuflicher Autor für mich zu verwenden?
Nein. Denn mit der dem Zeitungsmarkt eigenen Brutalität startete die taz eine infernalische Offensive und bietet seit geraumer Zeit Ablaßzettel im Wert von DM 1.000,00 feil. Der begleitende Text, apostrophiert als „Brief eines stillen Teilhabers“, zieht alle Register menschenunwürdiger Beeinflussung, spricht von „Kind(ern) in Gefahr“, von „liebende(n) Eltern“ und verlangt ultimativ die „Übergabe von eintausend Mark“.
Schwankend zwischen rudimentärem Widerstand und Ohnmacht, fast schon besetzt von der fixen Idee, mein gehortetes Zahngold zu versilbern, erreichte mich dann ein Anruf, ob ich nicht an einem Benefiz für die Regional-taz teilnehmen möchte. Ich trat die Flucht nacht vorne an und sagte zu.
Zum ersten Mal steige ich aus dem grünflimmernden Schattenbereich der Abonnentenkartei, um mich als Bote und Botschafter für dieses Alltagsprodukt zu vermenschlichen. Politiker, aber nicht nur sie, nennen das: Ich persönlich.
In diesem Stadium kann die Frage nicht mehr lauten, ob ich mir diesen Schritt wohl überlegt habe, sondern nur, ob ich mich im Übergang zu einer neuen Phase befinde, die möglicherweise in einer symbiotischen Beziehung endet? Ahnungen befallen mich, Menetekel erscheinen, wenn ich an unsere gemeinsame Zukunft denke.
Schon morgen kann es geschehen, daß ich aufgefordert werde, in der Fußballmannschaft der taz-Bremen mitzuspielen. Der nächste Schritt dürfte ein freiwilliger Arbeitseinsatz sein. Als Sandwich, beklebt mit der neuesten Ausgabe, soll ich durch die Stadt flanieren, um die Grossisten-Spanne einzusparen.
Und in letzter Konsequenz wird man mich zu Blut-und Organspenden aufrufen, um die restlichen, treuen Abonnenten am Leben zu erhalten.
Nur über meine Leiche, werde ich mit erstickender Stimme rufen. Doch die Werbeabteilung der taz-Regional wird mir nur den neuesten Werbespruch vors halb gebrochene Auge halten: Ein Herz für die taz.
Somit schließt sich der Kreis und beantwortet sich die Frage aller Fragen mit zwingender Beweiskraft: Es gibt kein Leben nach der taz.
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