: Wie im Wirtshaus vor Heroin
■ 'Bremer Drogentage‘: Junkievater, Pharmakologe und Drogenbeauftragter für Methadon
Als erklärter „wütender Gegner“ von Drogen und Drogenszene saß am Donnerstag abend Hans-Jürgen Senft mit auf dem Podium im
Lagerhaus Schildstraße. Da lief im Rahmen der „Bremer Drogentage“, vom Verein 'Kommunale Drogenpolitik‘ (AK) organisiert, die Debatte über Verelendung oder Normalisierung durch Aids und Methadon. Der Hamburger Senft ist der Vater eines Sohnes mit 13jähriger Fixerkarriere. „Da muß die Polizei ran, das gehört alles verboten“, war früher Senfts ganz feste Meinung gewesen. Und der Hamburger Elternkreis von Betroffenen mit abhängigen Kindern hatte ihm auch angeraten, den Jungen rauszuschmeißen, erst mal in der Gosse landen zu lassen. „Das kann nicht wahr sein“, war Senft verzweifelt gewesen, „das ist doch gar nicht mein Junge, der entweder high ist, aber nur noch oberflächlich ansprechbar, oder affig und nur bedacht, Geld loszueisen.“ Der Vater ging selbst zu Ärzten und auf die Szene und besorgte „Remmis“, das Medikament Remedacen, und versuchte damit eine Art von Ersatz fürs Heroin zu schaffen: „Eine wunderbare Erfahrung. Ich hatte plötzlich meinen Sohn wieder, wie neugeboren.“
Der Bremer Horst Bossong, seit 23 Tagen in Hamburg Drogenbeauftragter, Ak-Mitglied und klarer Befürworter von Met
hadon als eine der Ausstiegshil fen, berichtete: Wer Aids habe, sehr krank sei oder psychosoziale Probleme habe, könne in Hamburg mit dem Ersatz -Opiat versorgt werden, „egal, ob dann 100 oder 1000 ankommen“. Überraschenderweise kämen derzeit nur „relativ wenige Leute“, um das Methadonangebot in Anspruch zu nehmen: „Das politische Klima für Substitution muß erst geschaffen werden.“
Daß Methadonvergabe allein ein Schuß nach hinten sei, fanden alle. Aber woher Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten nehmen? Ein Zwischenruf aus der letzten Reihe: „Auch die Drogenberatung in der Bauernstraße soll nachts ihre Räume öffnen!“ Moderator und Ortsamtschef Hucky Heck („In Bremen haben wir dieses Jahr so viele Drogentote, wie in ganz Holland sterben“) sagte dem AK ausdrücklich Dankeschön für all die ehrenamtlich durchwachten Nächte: „30 Obdachlose schlafen im Mini-Büro des AK, und zum 15.12. schließt der 'Alte Senator‘ - das brennt auf den Nägeln!“
Weil die Podiumsgäste der Bremer Hilfe und der Clean -Iniative abgesagt hatten, der neue Bremer Drogenbeauftragte vor
seinem Amtsantritt im Februar nicht schon loslegen wollte und der Oslebshauser Knacki keinen Ausgang bekommen hatte, versuchte Heck, die Argumente gegen Methadon zu bündeln. „Auch ich ziehe drogenfreien Entzug vor“, erkläre der Oberarzt und Pharmakologe Hermann Schulte-Sasse aus der St. -Jürgen-Klinik, „aber wir müssen auch den vielen, dafür nicht Erreichbaren Angebote machen: kontrollierte Abgabe, um unkontrollierten Gebrauch zu vermeiden.“ Nach kontroversen Diskussionen in der Ärztekammer und in der oppositionellen 'Liste Gesundheit‘ stehe der Kompromiß: Methadonvergabe durch niedergelassene Ärzte, aber verordnet durch eine Kommission aus ÄrztInnen, Drogenarbeitern, Behörde und ehemals Abhängigen.
Angesichts der so konkret drängenden Probleme konnte Heino Stöver vom AK mit seinem Vorschlag, parallel über „Entkriminalisierung von Heroin“ zu debattieren, nicht landen. Er malte aus, „womit wir in Zukunft werden leben lernen müssen: daß Leute wie im Wirtshaus an Tischen sitzen, aber mit aufgekrempelten Ärmeln und vor ihren Löffeln.“ Susanne Paa
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