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Eine Ode an die Plastiktüte

■ Stabil und mit riesigem Fassungsvermögen: Der von den VEB Annaberger Wäschewerke produzierte Dederon-Einkaufsbeutel / Ein Plädoyer für den Import

Die Flut von DDR-Bürgern, die dieser Tage in unsere Teilstadt und Kaufhäuser strömt, bringt außer Amüsierwillen noch etwas mit. Ein nützliches Accessoire, so einfach wie raffiniert, so unauffällig wie ins Auge stechend: Dederon -Einkaufsbeutel heißt im real nicht mehr existierenden Sozialismus, was wir schlicht als Plastikbeutel bezeichnen würden. Vielfältig im Dekor und doch so einfach in der Handhabung, bestechend die rechteckige Form - wobei ein Beutel (auch, wenn er aus Plastik ist) selbstverständlich niemals Ecken hat -, Maße: 37 mal 27cm und oben zwei Henkel als handliche Griffe.

Dies alles sagt jedoch nichts über das erstaunliche Fassungsvermögen dieser Tragetasche aus, welches durchaus mit dem einer kapitalistischen Großraumplastiktüte vergleichbar ist. In der Tat wäre es jedoch verfehlt, die unästhetische Plastiktüte überhaupt mit diesen genialen Beuteln in Zusammenhang bringen zu wollen. Die einheimische Tüte - wer hat die ewig ausreißenden Henkel nicht schon verflucht - kann mit ihren einfallslosen Werbeemblemen dem einreisenden Beutel mit seiner phantasievollen Farbgebung nicht Paroli bieten. Die Muster sind so verschieden wie die Menschen, die sie tragen. Zu jedem Beutel läßt sich der passende Charakter finden.

Braun mit weißen Würfeln oder lavendelfarbenen Blumen für das Rentnerehepaar, leuchtend rot und blau geflammtes für die mittleren Jahre und graphisch anmutende Ornamente für die jungen Einkäufer von begehrten Konsumartikeln. Uns West -Berlinern war dieser Anblick bislang nur bei Besuchen im anderen Teil der Stadt vergönnt, wo man sich als Liebhaber dieser Originale nicht genug an jedem erspähten Modell freuen konnte. Nun endlich auch hier, wo sich allerdings auch in Bezug auf genannte Beutel die alte Weisheit bestätigt, daß der Prophet im eigenen Lande nichts gilt, so sieht man die Beutel in den Händen ihrer Halter immer häufiger zusammen mit gemeinen Plastiktüten.

Diesen Verlust an Wertschätzung bei seinen jahrelangen Begleitern hat der Dederon-Beutel nicht verdient, denn er ist Zeit seines arbeitsreichen und langen Lebens ein treuer Diener seines Herrn oder seiner Herrin, versteht sich. Es ist an der Zeit, diesen bescheidenen Beutel mehr in den Mittelpunkt des deutsch-deutschen Geschehens zu rücken, damit ihn demnächst unsere Enkel nicht nur im Museum bestaunen können. Darum der Appell an den VEB Annaberger Wäschewerk, Produzent des hier heftig gepriesenen Plastik -Produkts: Richten Sie im Zuge der zu erwartenden Wirtschaftsbewegungen auch bei uns eine Generalvertretung für Dederon-Einkaufsbeutel ein. Wir brauchen Sie!

Gunda Bartels

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