piwik no script img

Kampf um DDR-Touristen

Bürgermeisterstreit in Bebra und Rotenburg um „KonsumbürgerInnen“ aus der DDR  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt (taz) - Die Geschäftswelt der hessischen Städtchen Bad Hersfeld, Bebra, Witzenhausen oder Rotenburg ist seit der Öffnung des „antifaschistischen Schutzwalles“ schier aus dem Häuschen. Die Massen der Touristen aus der DDR, die ihre 100 Deutschmark Begrüßungsgeld in den Obst- und Gemüsegeschäften, in den Schuhläden oder an den Tabak- und Zeitungskiosken im „Zonenrandgebiet“ auf den Kopf hauen, sind zum knallharten Wirtschaftsfaktor geworden.

Für den hessischen Wirtschaftsminister Schmidt (CDU) eröffnen die konsumhungrigen „Ossis“ denn auch „völlig neue Perspektiven in der wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Entwicklung“. Der Minister kündigte ein Arbeitsprogramm des Kabinetts zur „Zukunftsregion Hessen -Thüringen“ an. Als Sofortmaßnahme stellt die Regierung Wallmann 15 Millionen DM für den Ausbau der Straßen an den hessischen Übergängen bereit.

Um die bahnfahrenden DDR-Besucher, die ausschließlich in Bebra ankommen, balgen sich inzwischen schon die Kommunen. Mehr als drei Millionen DM hat Bebra am vergangenen Wochenende an Begrüßungsgeld an die DDR-Touristen ausgeschüttet. Und die sanierten mit den Millionen den daniederliegenden Einzelhandel der Stadt. Von dem Bebraer „Kuchen“ wollte sich auch die Kreisstadt Rotenburg, die mit „nur“ 250.000 DM vergleichsweise bescheidene „Einkaufsmittel“ vergibt, eine Scheibe abschneiden: Rotenburgs Bürgermeister Gleim (CDU) ließ die DDRler mit Bussen vom Bahnhof abholen. Das wiederum brachte den Bebraer Bürgermeister Hüttenbein (CDU) in Harnisch. Der soll sich vor einen nach Rotenburg fahrenden Bus geworfen haben, um das Gefährt zu stoppen.

Genau das bestreitet der streitbare Bürgermeister aus Bebra. Er habe sich lediglich das Kennzeichen des „fremden Busses“ notieren wollen. Richtig sei allerdings, daß die Stadt Rotenburg einfach „zu viele Busse“ nach Bebra schicke. Die angespannte Lage soll demnächst in einem „unter-vier -Augen-Gespräch“ zwischen den beiden christdemokratischen Bürgermeistern entschärft werden. Minister Alfred Schmidt hat die Bundesbahn aufgefordert, bislang stillgelegte grenznahe Strecken zu reaktivieren. Sollte die Bahn mitziehen, werden die DDR-Bürger demnächst von Bebra aus mit der Bahn in andere Städte der Region weiterfahren können.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen