: Wiedervereiniger von links
■ Die „Vereinigte Linke“ und der westliche Revolutionstourismus
Ost-Berlin, „Haus der jungen Talente“. „Erstes Arbeitstreffen“ der „Vereinigten Linken“ verkündete am Wochenende ein Transparent über dem Eingang an der Ost -Berliner Klosterstraße, einen Steinwurf vom DDR -Staatsratsgebäude entfernt. Gegen die Preisgabe der DDR gegenüber dem beutehungrigen westdeutschen Kapital will die Initiative einen Gegenentwurf für einen demokratischen und freiheitlichen Sozialismus setzen: Der Sozialismus hat für die über 500 Teilnehmer allein deshalb noch nicht abgewirtschaftet, weil es ihn noch nie gegeben habe. Vielmehr habe die Parteidiktatur und die Kommandoökonomie der SED-Führung jegliche Arbeiterselbstbestimmung und -selbstverwaltung zu verlogenen Phrasen verstümmelt. Dies gelte es nun zu ändern. Ein Parlamentarismus, in dem alle paar Jahre der Wähler ein Kreuzchen machen darf, ist für sie keine Zielvorstellung. Die Demokratie fängt für die „Vereinigte Linke in den Betrieben an. Die Werktätigen sollen die Ziele der sozialistischen Gesellschaft formulieren; die Parteien dürfen dabei nur Hilfestellung bei der Umsetzung leisten. Nicht weniger Plan, sondern wirkliche Planung, ergänzt um Marktmechanismen und Leistungsanreize, auch das gehört zu den Vorstellungen jener, die zwei Tage lang in zwölf Arbeitsgruppen stritten. Nicht gerechnet aber hatten die Veranstalter mit einem westdeutschen Revolutionstourismus, einer Wiedervereinigung der linken Spielart. Aus Hannover, aus Hamburg, Frankfurt und vor allem aus Berlin (West) waren die Gäste angereist. Besonders stark vertreten waren die Kreuzberger Autonomen. Bereits im Foyer erklärten per Aushang die „Marxisten für die Rätedemokratie“, die IV. Internationale, die Spartakisten oder die „Gruppe Arbeitermacht“, was da eigentlich in der DDR abläuft. Manche der westlichen Gäste waren zum Zuhören gekommen, andere aber machten sich in den Arbeitsgruppen, in denen sehr ernsthaft und gründlich gesichtet wurde, was noch brauchbar sei vom DDR-Sozialismus, daran, den armen Zonis zu verklickern, wo es nun langgehen müsse. Politisches Schamgefühl ist wohl nur dann von Bedeutung, wenn man das Fehlen desselben beim Bundeskanzler einklagen kann. Gefragt, ob er sein politisches Oberlehrerverhalten nicht peinlich fände, antwortete einer: „Diese Diskussion müssen wir gemeinsam führen.“ Am Eingang aber sah man dies wohl anders. „Könnt Ihr nicht einmal solidarisch sein und zurücktreten, damit wir unter uns diskutieren können?“ bat eine Frau vom Organisationsbüro genervt bis verzweifelt einen Neuankömmling aus dem Westen.
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