piwik no script img

Totalverweigerung: Prozeß mit Ost-Power

Erneut ein überraschendes Urteil in Frankfurt: Amtsrichter stellte das Verfahren gegen den Totalverweigerer Joachim Held ein / Verweigerer aus Ost-Berlin waren mit ihrem Transparent (beinahe) umsonst gekommen / Diskussion über Kriegsdienst in Ost und West  ■  Von Gitta Düpperthal

Frankfurt (taz) - „Die schönste Staatsfeindlichkeit bleibt auf der Strecke“, amüsierte sich am Freitag ein Zuschauer im Wiederaufnahmeprozeß gegen den Totalverweigerer Joachim Held in Frankfurt. Amtsrichter Ulrich Klimmek hatte das Verfahren in Übereinstimmung mit Staatsanwältin Linnenschmidt wegen Geringfügigkeit überraschend eingestellt, Totalverweigerer Held konnte unbehelligt nach Hause gehen. Grund für die unerwartete Entscheidung war, daß die „Tat“ drei Jahre zurücklag. Amtsrichter Klimmek griff in die juristische Trickkiste und entdeckte den Paragraphen 153: der erlaubt die Einstellung wegen Geringfügigkeit nach zeitlichem Verzug.

Joachim Held hatte seinen Zivildienst in der evangelischen Dreifaltigkeitskirche im August 1986 nach einigen Monaten abgebrochen. Er begründete das damit, daß auch Zivildienst in das System des Militärdienstes gehöre. Im Juni 1987 war das Verfahren ausgesetzt worden, um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten. Dies urteilte dann zwei Jahre später im Juli 1989, daß die Einbindung des Zivildienstes in die Wehrpflicht verfassungsgemäß ist und dementsprechend nach dem Wehrpflichtgesetz entschieden werden muß. Damit war ein Freispruch juristisch nicht mehr möglich.

Mit der überraschenden Einstellung des Verfahrens rannten die VertreterInnen des „Koordinationsausschusses der Totalverweigerer“, die samt ihrer Partnerorganisation aus der DDR extra angereist waren, fast völlig ins Leere. Sie hatten die deutsch-deutsche Friedensarbeit durch ihre Anwesenheit einläuten wollen. Und so war sekundenlang verblüffte Stille im Gerichtssaal. Statt dessen dann erleichterter Applaus.

Ganz umsonst war die Anreise der Totalverweigerer dann doch nicht: „Die Problematik können Sie mir schildern. Ich höre mir das an!“ hatte Richter Klimmek in der spannungsgeladenen Atmosphäre noch angefügt.

Die beiden Ostberliner vom „Freundeskreis der Wehrdiensttotalverweigerer“ ließen sich denn durch die humane Entscheidung in der Ausübung ihrer neugewonnenen Meinungsfreiheit nicht irritieren. Sie rollten im Gerichtssaal das Transparent mit ihren Forderungen aus: „Weg mit der Wehrpflicht in Ost und West.“

Die Staatsanwältin war einverstanden. Souverän beendete Richter Klimmek den so überraschend kurzen Prozeß mit der Bitte, den Saal zu verlassen, der nur kurzfristig „ausgeliehen“ sei. Sein abschließendes Wort: „Ich werde es wahrscheinlich nicht mehr erleben, daß die Wehrpflicht abgeschafft wird. Aber Sie sind ja noch jung!“

Im Anschluß berichteten die angereisten DDRler aus ihrer Heimat, in der es die Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung nicht gibt. Der Zivildienst soll jetzt erst eingeführt werden. Bei Totalverweigerung ist, genauso wie in der Bundesrepublik, ein Strafmaß von bis zu fünf Jahren Haft vorgesehen. Bis 1985 wurden jedoch meist Haftstrafen von 20 bis 24 Monaten verhängt. Zuletzt wurden Totalverweigerer totgeschwiegen, obwohl es sehr wohl noch Verweigerungen gab. Sie besorgten sich entweder Atteste und wurden „gesundheitlich ausgemustert“ oder dienten als „Bausoldaten“.

Die Totalverweigerer aus Ost und West waren sich während der Diskussion in einem einig: Die Situation für sie war noch nie so günstig. Sie wandten sich auch explizit gegen die Zivildienstleistenden: „Darauf müssen die Leute, die jetzt Zivildienst beantragen, einfach mal hingewiesen werden, was sie uns damit versauen!“ Das Demonstrationsrecht müsse jetzt genutzt werden, und Entmilitarisierung sei angesagt. Ein Trost vielleicht auch für Joachim Held, der nach seinem Prozeß entwas entmutigt urteilte, daß dieser für ihn persönlich - positive Ausgang noch kein Signal „für andere Richter“ beinhalte, die nun an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gebunden seien.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen