: „Die Beschlüsse sollen uns einschläfern“
Jan Stern, Mitglied der Bewegung für Bürgerfreiheit und des Bürgerforums, zur Zusammensetzung des neuen ZK-Präsidiums ■ I N T E R V I E W
taz: In der Nacht zum Samstag wählte das ZK der KP der CSSR eine neues Präsidium. Ist mit ihm der Dialog möglich?
Jan Stern: Viele der neuen Leute kenne ich bisher nicht. Negativ beurteilt werden muß der Ausschluß von Ladislav Adamec: Er war zu Kompromissen bereit, wollte bereits vor dem polizeilichen Vorgehen gegen die Studenten mit Havel sprechen. Da jedoch Milos Jakes als Vertreter des stalinistischen dogmatischen Flügels abtrat, mußte auch Adamec gehen. Es handelt sich um ein Tauschgeschäft. Positiv ist, daß Gustav Husak, Alois Indra, Jan Fojtik und andere führende Köpfe der „Normalisierung“ gehen mußten. Eine Provokation für die Prager Arbeiter ist die Wiederwahl von Miroslav Stepan. Noch vor wenigen Tagen wurde er bei CKD (Maschinenbaubetrieb) ausgepfiffen. Außerdem ist er verantwortlich für die Prager Polizei. Er gibt zwar nicht direkt den Einsatzbefehl, muß jedoch zustimmen. Er ist arrogant und dumm. Wie Jakes kann er nicht fließend tschechisch sprechen.
Was wissen Sie über den neuen Generalsekretär Karel Urbanek?
Urbanek ist ein Kompromißkandidat. Auch die Stalinisten wußten, daß sich etwas ändern mußte. Da das Bürgerforum als Voraussetzung für den Dialog den Rücktritt von Stepan und Zavadil gefordert hat, wird durch diese Wiederwahl gezeigt, daß sie nicht bereit sind, die Bedingungen des Bürgerforums anzuerkennen. Die alte stalinistische Clique hat weiterhin die Mehrheit.
Wie beurteilen Sie den gestrigen Beschluß des ZK?
Ich habe eine sehr kritische Position zu fast allen Punkten. Positiv kann lediglich gewertet werden, daß die Partei ein Aktionsprogramm ausarbeiten will, daß es neue Gesetze zum Beispiel zur Versammlungsfreiheit geben wird. Zwar ist das ZK zur Untersuchung der polizeilichen Übergriffe vom 17.11 bereit. Kein Wort wird jedoch über die Errichtung einer unabhängigen Kommission gesagt. Diese hatte das Bürgerforum gefordert. Die Partei will weiterhin nur mit denjenigen in einen Dialog treten, die die Verfassung anerkennen. Darin verankert ist die führende Rolle der KP. Alle Beschlüsse der gestrigen Sitzung sollen dazu dienen, uns einzuschläfern. Man tut so, als wolle man etwas verändern, spricht jedoch weiterhin nicht mit denen, die die Veränderungen fordern. Die Hauptprovokation liegt in der Wiederwahl der Personen, deren Rücktritt das Bürgerforum gefordert hatte.
Welche gesellschaftlichen Gruppen haben sich im Bürgerforum zusammengeschlossen?
Die Bewegung, die das Bürgerforum in Zusammenarbeit mit der Sozialistischen Partei und den Reformkräften der Katholischen Volkspartei repräsentiert, ist eine authentische, revolutionäre und spontane Bewegung - ähnlich der in der DDR. Die Führung der Revolution ist zur Zeit noch in den Händen der Studenten und Schauspieler. Es ist eine kulturelle Revolution. Ich kenne keine andere Bewegung, bei der die Theaterleute eine so entscheidende Rolle spielen. Statt den Vorstellungen wird in den Theatern diskutiert. Das Bürgerforum wird einen Aufruf formulieren, damit ähnliche Gruppen nicht nur in Prag, sondern in vielen Städten und Dörfern des Landes entstehen. Sie sollen nicht streng preußisch organisiert, aber doch machtvoll sein, um so die Führung zu Kompromissen bewegen zu können. Diese werden den weg zu demokratischen Reformen öffnen. Zum Bürgerforum gehört die klasssische Dissidenz, die Charta 77 und das Helsinki-Komitee. Außerdem die Bewegung für Bürgerfreiheit, die einen sozialdemokratischen und einen christlichsozialen Flügel hat. Die Demokratische Initiative kann zu den europäischen Liberalen gezählt werden. Weitere Mitglieder des Bürgerforums sind ehemalige Reformkommunisten, die unabhängige Friedensbewegung, Vertreter der Kirchen und der Studenten. Jeden Tag melden sich aber auch neue Betriebe.
Das „Bürgerforum“ hat verschiedene Kommissionen gebildet, in denen ein politisches Programm erarbeitet werden soll. Doch ist dies angesichts der Vielzahl der Gruppierungen überhaupt möglich?
Bisher verfügte die Opposition nur über ein ausformuliertes Programm: das der „Bewegung für Bürgerfreiheit“. Nun ist es wichtig, daß uns viele Wissenschaftler aus offiziellen Organisationen wie z.B. W. Urbanek, der Chef des Statistischen Amtes, mit ihrer Fachkompetenz zur Hilfe kommen. Die Opposition verbindet zahlreiche politische Standpunkte. Wir lehnen die führende Rolle der Partei ab, wollen freie Wahlen und eine Wirtschaft mit unterschiedlichen Eigentumsformen.
Interview: Katerina Wolf
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen