: Berichte für Herrn Lummer
Auszüge aus dem Bericht der Projektgruppe zur vollständigen Überwachung der Alternativen Liste / Die Abteilung IV beim Innensenat ist der Verfassungsschutz ■ D O K U M E N T A T I O N
In der AL waren über Jahre V-Leute tätig. Senator Ulrich hatte - wie bereits unter 3.2.1 angesprochen - im Februar 1980 entschieden, daß „eine Einschleusung von Quellen in die AL... nur dann zulässig“ sei, „wenn es sich um Personen handele, die als Mitglieder oder sonstige Innenquellen in extremistischen Gruppierungen über deren Einflußnahme auf die oder Mitarbeit, in der AL berichten könnten“.
Entsprechend hatte das Amt - einem Vermerk IV AbtL vom 6.Juli 1981 zufolge - „auch keine VM (V-Leute, die Red.) in die AL eingeschleust, sondern nur insoweit auf diesem Gebiet mit VM gearbeitet, als diese in einer extremistischen Gruppierung tätig waren und als solche sich für ihre Gruppe in der AL betätigten“.
IV AbtL unterrichtete am 1.Juli 1981 Sen. Dir. Dr. Conen über die Weisung des früheren Innensenators Ulrich, die AL nicht als Beobachtungsobjekt zu behandeln und sich auf die Beobachtung der Einwirkung extremistischer Bestrebungen auf die AL zu beschränken; hinsichtlich der Arbeit der V-Leute machte er deutlich, daß sich die Ausgangslage (nur sehr begrenzter Einsatz) durch die Selbstauflösung der KPD zwischenzeitlich entscheidend geändert hätte. Wörtlich heißt es in dem Vermerk:
“...Die Abt. IV führte zwei VM, die seinerzeit als KPD -Mitglieder in die AL gegangen sind, nunmehr aber nach Auflösung der KPD nur noch AL-Mitglieder sind. Betrachte man die damalige Entscheidung des Herrn Senator a.D. Ulrich formal, dann müßte die Abt. IV diese VM abschalten. Andererseits vermitteln diese VM nach wie vor einen guten Einblick über die extremistische Einflußnahme auf die AL...“
Sen. Dir. Dr. Conen teilte IV AbtL am 3.Juli 1981 fernmündlich die Entscheidung Senator Lummers mit, die V -Leute weiter zu führen. Hierüber unterrichtete IV AbtL am 8.Juli 1981 Herrn B (IV (2)). Zu einer Erörterung des vorgenannten Komplexes zwischen Senator Lummer, sen. Dir. Dr. Conen und IV AbtL kam es sodann am 10.September 1981. Ausweislich eines von IV AbtL unter dem 16.September 1981 gefertigten Gesprächsvermerks wiederholte Senator Lummer seine Entscheidung, zwei V-Leute der Abteilung IV, die seinerzeit als Mitglieder der inzwischen aufgelösten KPD zur AL gestoßen waren, weiter als V-Leute zu führen.
„Er erklärte darüber hinaus, daß es seiner Ansicht nach in der letzten Zeit genügend Anhaltspunkte dafür gegeben habe, daß es in der AL Kräfte gibt, die Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung verfolgen. Offen und ungeklärt sei jedoch das Ausmaß des Einflusses dieser Personen. Ohne den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel werde man sich aber hier wohl kaum Klarheit verschaffen können. Deshalb sei der Einsatz derartiger Mittel auch nicht nur notwendig, sondern auch gerechtfertigt.“ Senator Lummer ließ keinen Zweifel daran, daß er sich der politischen Brisanz eines derartigen Vorgehens mit nachrichtendienstlichen Mitteln bewußt war und unterstrich „deshalb die Notwendigkeit äußerster Behutsamkeit bei der Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel auf diesem Gebiet“.
IV AbtL sagte Senator Lummer eine Zusammenstellung aller Erkenntnisse über Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung innerhalb der AL zu, um zu prüfen, ob das Ausmaß des Verdachts den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel rechtfertigt.
Eine derartige Zusammenstellung hat es bis zu der von Herrn I (heute der Leiter der Spionageabteilung, Osswald, d.Red), allerdings erst 1984, gefertigten Untersuchung (auf die an späterer Stelle noch näher eingegangen wird) den verfügbaren Akten zufolge nicht gegeben. Es fehlen in den Akten auch jegliche Hinweise, die eine Umsetzung der Senator Lummer gegebenen Zusage im Amt erkennen lassen könnten.
Die eingesetzten V-Leute berichteten in der Folgezeit umfassend aus der AL, z.B., aus Zusammenkünften und Sitzungen auf Landes- und bezirklicher Ebene) und über zahlreiche Veranstaltungen (z.B. Demonstrationen), an denen die AL beteiligt war. Die Berichte, die nicht immer allein auf die Beobachtung linksextremistischer Einflußnahme bezogene und beschränkte Informationen enthielten, wurden zur Akte „Infiltration der Alternativen Liste“ genommen.
Die V-Leute waren über Jahre tätig. Soweit heute nach übereinstimmenden Angaben aller hierzu befragten Mitarbeiter keine V-Leute im Bereich der AL mehr eingesetzt werden, dürfte dies wesentlich auf das Ergebnis einer von Herrn H. (IV (2) B) unter dem 16.November 1987 in einem Vermerk zum „Möglichen Einfluß von Extremisten auf die Alternative Liste - Für Demokratie und Umweltschutz Berlin (AL)“ wiedergegebenen Untersuchung zurückzuführen sein, nach der sich „eine Beobachtung der AL mit nachrichtendienstlichen Mitteln... aus Gründen der Verhältnismäßigkeit“ verbietet. Auch auf diese grundsätzliche Ausarbeitung über die AL wird an späterer Stelle noch näher eingegangen.
Ausweislich der verfügbaren Akten waren 1987, in dem Jahr der Inauftraggabe der von Herrn H. vorgenommenen Untersuchung zur Alternativen Liste, noch insgesamt zwölf V -Leute und ein verdeckter Ermittler tätig, die über auch die AL nennende und betreffende Sachverhalte informierten; die Meldungen fanden Eingang in die Akte „Infiltration der Alternativen Liste“. Die letzte zur vorbezeichneten Sachakte genommene VM-Meldung datiert vom 2.September 1988 und beschreibt nähere Einzelheiten der Diskussion einer politischen Gruppierung; in dem VM-Bericht wird mehrfach auch die AL erwähnt.
Soweit 1987 noch von insgesamt zwölf V-Leuten zahlreiche, auch die AL erwähnende Meldungen gefertigt und zur entsprechenden Sachakte genommen worden waren, blieb derartiges 1988 auf wenige Ausnahmen beschränkt; ein V-Mann berichtete im April 1988 letztmalig im Zusammenhang mit der AL, ein weiterer fertigte nur eine einzige Meldung Anfang September 1988 - die oben bereits angesprochen wurde - an. Der V-Mann, der über Jahre unmittelbar aus internen AL -Veranstaltungen berichtet hatte, wurde - nachdem er zuvor bereits angewiesen worden war, keine derartigen Veranstaltungen mehr ohne ausdrückliche Genehmigung des Amtes zu besuchen - im Dezember 1988 abgeschaltet.
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