Granatenfabriken als Krebserzeuger

Auf dem Bundeskongreß „Altlasten in der Rüstungsindustrie“ wurde die umweltvergiftende TNT-Produktion im Dritten Reich angeprangert / Die ökologische Zeitbombe tickt noch heute  ■  Aus Göttingen Reimar Paul

Auch Uwe Hammelsbeck aus Wernigerode (DDR), Vertreter des Arbeitskreises Ökologie im Neuen Forum, zog es vergangenes Wochenende in die Göttinger Universität zum ersten Bundeskongreß über „Altlasten der Rüstungsindustrie“.

Etwas abseits der Demos gegen Neonazis und Polizeigewalt und deshalb auch wenig beachtet, kamen fast hundert VertreterInnen von Bürgerinitiativen, Forschungsinstituten, politischen Parteien und anderen Organisationen zu dieser Veranstaltung zusammen.

Rüstungsaltlasten, so brachte es eine Teilnehmerin auf den Punkt, sind „Rückstände aus der Rüstungsproduktion, die bis heute Luft, Boden und Wasser großräumig vergiften“. 67 Standorte ehemaliger Rüstungsbetriebe hat der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) auf dem Gebiet der Bundesrepublik ausgemacht; nicht mitgezählt etliche Munitionsabfüllstationen und die sogenannten „Wifos“ Wirtschaftliche Forschungsanstalten, in denen die Vor- und Zwischenprodukte von Sprengstoffen gelagert wurden.

Als eines der bedeutendsten Zentren nationalsozialistischer Munitions- und Sprengstoffherstellung wies eine in der Eingangshalle aufgebaute Ausstellung den Harz aus. Fotos zeigten die von Gras und Buschwerk überwucherten, mitten im sterbenden Fichtenwald bei Clausthal-Zellerfeld gelegenen Überreste der früheren Sprengstofffabrik „Werk Tanne“.

Die Anlage war zwischen 1934 und 1938 von der Dynamit Nobel AG errichtet worden und diente der Herstellung von TNT in Bomben, Minen und Granaten. Das Gelände der Fabrik ist in einem Radius von mehreren hundert Metern durch TNT -Rückstände verseucht.

Im Sediment nahegelegener Teiche sind hohe Konzentrationen krebserregender Substanzen festgestellt worden, die von der Sprengstoffproduktion herrühren. Und in den Bächen, die von diesen Teichen in Richtung der großen Trinkwassersperren ablaufen, wurden hochgiftige Amine - Laugenverbindungen, die sich vom Ammoniak ableiten - festgestellt.

Um den steigenden Materialbedarf der Wehrmacht zu befriedigen, brauchten die nationalsozialistischen Waffen und Munitionsfabriken nämlich nicht nur „qualifiziertes“ deutsches Fachpersonal, sondern auch Arbeitskräfte für vorgeblich weniger schwierige, gesundheitlich aber umso gefährlichere Tätigkeiten. In allen Kampf- und Sprengstoffproduktionsstätten wurden deshalb massenweise ausländische ZwangsarbeiterInnen eingesetzt. Im Clausthaler „Werk Tanne“ preßten die Nazis 1943 und 1944 mehrere tausend Russen zur Zwangsarbeit.

Sofortige Entschädigungszahlungen an alle ZwangsarbeiterInnen und KZ-Häftlinge - dies war denn auch eine der wesentlichen Forderungen, mit denen BUND und die Initiativen gegen Rüstungsaltlasten die „politisch Verantwortlichen“ verstärkt konfrontieren wollen.

In einer Podiumsdiskussion stellten die Bürgerinitiativen dann weitere Forderungen vor: Verbot der Wohnbebauung auf Altlasten ebenso wie die Beteiligung der Öffentlichkeit beim geplanten Abzug der veralteten Chemiewaffenbestände der US -Army und die Entmilitarisierung der Bundesrepublik. Anstatt neue Rüstungsprojekte zu realisieren, soll Bonn die Altlasten aus dem Verteidigungshaushalt sanieren.