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Rote Fahne ist zerfetzt

■ Norbert Blüm, Bundesarbeitsminister, zum Aufruf aus der DDR

Mit der falschen Alternative „DDR statt Vereinnahmung und Ausverkauf“ verbauen und vernageln, fürchte ich, die Autoren des Aufrufs den vielleicht einzig noch gangbaren Weg aus der Krise: den gemeinsamen Weg von Deutschen in der DDR und der Bundesrepublik. Nicht die „Vereinnahmung“, nicht der „Ausverkauf“ steht auf der Tagesordnung, sondern die Einheit der Deutschen. Alle konnten es sehen: Eine Nation hat sich umarmt. Daß die Menschen in der DDR und hier diese Einheit wollen, haben sie durch die Herzlichkeit der letzten Tage unter Beweis gestellt! Wer daran zweifelt, ob die Deutschen in Ost und West dies wollen, der kann diese Frage einer Volksabstimmung aussetzen - in der DDR und bei uns.

Eine neue deutsche Einheit kann und wird nicht zurückfallen in altes romantisches Staatsgeraune, das uns Deutsche oft genug verführt hat. Neue deutsche Einheit heißt nicht: Anschluß der DDR an die Bundesrepublik oder Fusion. Sie ist nicht Monotonie, sondern ein Konzert mit vielen Tönen - aus Sachsen, Mecklenburg, Thüringen und Nordrhein-Westfalen. Die Erfahrungen dieser Tage sind Medizin gegen Verklemmungen und Verkrampfungen. Die Unbefangenheit, die fast nüchterne Freude, mit der Millionen von Menschen nach dem 9. November auf einander zugegangen sind, machen mich sicher, daß auch die da und dort noch vorhandene Ängste abgebaut werden. Denn diese Ängste haben keinen realen Kern!

Das Grundanliegen des Aufrufs - die Lebensbedingungen, die den Menschen in der DDR jahrzehntelang zugemutet wurden, radikal zu ändern - findet meine Zustimmung. Doch ich frage die Autoren des Aufrufs: Taugt die rote Fahne noch als Freiheitsfahne? Ist sie nicht längst von jenen zerfetzt worden, die nach Freiheit verlangen?

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