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Die Bierorgel intoniert Einigkeit und Recht und...

■ Ein Paradiesvogel sucht ein Zimmer / Burschenschaften, Corps und Studentenverbindungen als Anlaufstellen für studentische Wohnungssuchende / Von Füchsen, alten Herren, Burschungen, Lebensbünden und anachronistischen Ritualen auf Herrenabenden

„Die Corona erhebt sich zum feierlichen Einzug der Chargierten!“ Schneidend, fast militärisch, klingt die Aufforderung im Zwielicht des Saales. Stühle rücken, gedämpftes Gemurmel ebbt ab, das Piano - hinfort Bierorgel genannt - beginnt zu klimpern: einen Marsch, was sonst?

Meine Krawatte wird immer enger, will mich strangulieren. Schmerzhaft wird mir bewußt, daß ich mich in meinem lila -durchgestylten Sonntagsstaat wie ein Paradiesvogel abhebe von den braven dunkelblauen Zweireihern und Sakkos, die links und rechts jetzt die Rücken durchdrücken und die Hacken zusammenpressen. Nur den Vergleich mit den drei „Clownierten“, wie ich das „hochverehrte Präsidium“ klammheimlich getauft habe, brauche ich nicht zu scheuen, sind diese in ihren blau-weiß-roten Fantasieuniformen doch noch ulkigere Vögel. Gemessenen Schrittes und mit gezückten Säbeln streben sie dem Podium zu. Die Bierhumpen dort verwundern mich nicht - aber was sollen diese überdimensionalen Käsebretter? Die drei haben ihre Plätze erreicht und - Klack! Peng! Klack! - wie Schüsse peitscht es durch den Raum, als die Säbel mit Wucht auf die Bretter geschlagen werden. „Silentium!“

Burschenschaften, Corps und Studentenverbindungen leiden unter Nachwuchsmangel. Studenten, insbesondere Erstsemester und Studienplatzwechsler leiden unter Wohnraummangel. Daß beides gut zusammenpaßt, dürfte insbesondere denjenigen Neu -Berlinern aufgefallen sein, die Anfang Oktober vor den fast leeren Schaukästen der studentischen Zimmervermittlung in der Silberlaube gestanden haben. Vor dem Hintergrund fast unerschwinglicher Preise auf dem freien Wohnungsmarkt üben Angebote wie „Großes Zimmer in schöner Villa am Grunewald. 90 DM pro Monat. Burschenschaft XY.“ eine gewisse Faszination aus. Und so dürfte der ein oder andere sich die anachronistisch anmutenden Namen flugs notiert haben: Saxo -Borussia, Gothia, Bavaria, Allemania, Teutonia usw. Wem dann nicht schon bei der ersten telefonischen Kontakaufnahme in höflich-distanziertem Ton seine Anti-Qualifikation (weibliches Geschlecht, Ausländer, in manchen Fällen Konfession) klargemacht wurde, der könnte sich dann plötzlich auf einer Semesterantrittskneipe wiederfinden. Natürlich nicht bei einer rechtsextremen Verbindung, denn auch dies ist bereits am Telefon klargeworden - die gibt es nicht!

Das Lied von der „holden Studienzeit“, den Hochgesang auf ein Gesöff namens „Krambambuli“ und einige weitere Songs aus dem „Liedbuch des deutschen Studenten“ haben wir unter der gestrengen Leitung unseres Zeremonienmeisters („die Bierorgel intoniert eine halbe Weise voraus!“) mehr gegröhlt denn gesungen, während die - Peng! „Silentium steht bei mir. Soeben sehe ich, daß ein Bundesbruder verspätet erschienen ist. Sage er uns, Bruder, welche Strafe er selbst seines Vergehens für angemessen erachtet?“ Der Angesprochene zeigt sich von Ton und Art des Tadels wenig geschockt und sühnt sein Vergehen souverän, indem er einen halben Liter des kühlen Blonden in sich hineinkippt, während die, ja richtig: während die „Füchse“ draußen, vor dem „Allerheiligsten“ ein Bier nach dem selbigen zapfen, den Durst ihrer „alten Herren“ und „Burschen“ zu stillen. Ein volles Jahr dauert ihre „Fuchsenzeit“, bevor sie mit der „Burschung“ in den „Lebensbund“ aufgenommen - „Silentium steht bei mir. Die Bundesbrüder Franz und Ralf werden jetzt den Freundschaftszipfel trinken!“ Staunend sehe ich, wie die Genannten nach vorne kommen, kleine Orden in wohlgefüllte Biergläser werfen und diese dann verschlungenen Armes dergestalt leeren, daß sie am Ende den „Zipfel“ mit dem Mund auffangen.

Disziplin, Fleiß und Sauberkeit - auf viel mehr als diese urdeutschen Tugenden lassen sich die meisten Studentenverbindungen so schnell nicht festlegen; zumindest nicht, solange man noch nicht zum festen Kreis gehört. Politische Diskussionen mit Neulingen werden bewußt an der Oberfläche gehalten, grobe Tendenzen abgecheckt. Wiedervereinigung, ja, die haben sie eigentlich alle auf ihre Fahnen geschrieben, aber demokratisch natürlich. Grenzen von '37? Herumdruckserei. „BRD und DDR tuts zunächst ja auch!“

Zu vorgerückter Stunde läßt das Präsidium die Zügel etwas lockerer. Man darf jetzt sogar zur Toilette gehen. Das ritualisierte Besäufnis ist - „Silentium! Die Bundesbrüder erheben sich, um die Nationalhymne zu singen! Die werden doch nicht? Fast bin ich sicher: die erste Strophe? „Die Bierorgel intoniert ...“ - und: „Einigkeit und Recht und...“.

Übrigens: das Zimmer habe ich nicht bekommen. Ich bin mit 25 Jahren zu alt! Man habe lieber jüngere Leute, weil deren „Weltbild“ noch nicht so gefestigt sei.

S.R.

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