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Der Grünen Lähmung

Wie schwer sich die Grünen tun, auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren, beweist die Partei auf vielfältige Weise. Der 10-Punkte-Plan Kohls und der Schulterschluß von SPD, FDP und Union haben die Grünen kalt erwischt. Die Rede der Fraktionsvorständlerin Jutta Oesterle-Schwerin, in der sie mit keinem Wort auf die aktuellen Vorschläge Kohls einging, markiert dies auf unfreiwillige Weise. Sie beschränkte sich statt dessen darauf, nachdrücklich eine Wiedervereinigung abzulehnen (dafür gebe es „keinen einzigen vernüftigen Grund“) und stellte die Bundesrepublik als Negativbeispiel dar, wie eine demokratische Entwicklung in der DDR nicht laufen sollte.

Das sei eben auch das „Problem einer vorbereiteten Rede“, meint die Abgeordnete Angelika Beer entschuldigend. Andere, wie der hessische Abgeordnete Dietrich Wetzel, sprechen von einer vertanen Chance. Er wertet die Rede als „abstrakten Katastrophismus, der Ängste und Bedenken ausdrückt, aber keine Perspektiven weist“.

Einige Debattenstunden später versuchte die Fraktionsvorstandskollegin Antje Vollmer zwar zu reagieren: „Respekt für die kalte Professionalität Ihrer Politik“ zollte sie Kohl und verwies darauf, er habe die Rechnung „ohne den Eigensinn der DDR“ gemacht und ohne Rücksicht auf die kritische Lage Gorbatschows. Mehr war nicht drin; Frau Vollmer hatte nur zwei Minuten. Doch ob mehr möglich gewesen wäre, muß offen bleiben. Die Rolle der einzigen Opposition im Bundestag zu umreißen und selber ein Gegenkonzept für die künftige Entwicklung des Verhältnisses zur DDR zu entwickeln - damit tut sich die Partei ungemein schwer.

Deutlich wurde dies nicht nur beim Perspektivenkongreß vor zehn Tagen in Saarbrücken, als man sich an der Frage festbiß, ob der Sozialismus nun tot sei oder nicht. Auch in der Fraktion hat man Schwierigkeiten mit dem Schritt vom Problemaufriß zur Perspektive. An der montäglichen Vorbereitungssitzung für die Bundestagsdebatte nahm nur der kleinere Teil der Abgeordneten überhaupt teil; und außer der im Fraktionsvorstandstrio turnusgemäß redeberechtigen Oesterle-Schwerin gab es keine BewerberInnen für die Rede. „Viel kaputter kanst du nicht mehr sein“, beschreibt deshalb ein Fraktionsmitarbeiter die gegenwärtige Situation: „Wir verstolpern eine historische Situation.“ Kein Blatt vor den Mund nimmt wie immer Realo-Wortführer Udo Knapp. Zwar denkt er nicht in Richtung Wiedervereinigung, aber die „bornierte Links-Staatlichkeit“, die Jutta Oesterle-Schwerin vertrete, könne nicht so stehen bleiben. Sie offenbare lediglich ein „ängstliches Bestehen auf dem Status quo“. Dem nationalen Konzept Kohls will er einen „offenen Prozeß“ der Blockauflösung und ökologischen Erneuerung Europas entgegensetzen, der Osteuropa mit einschließe.

Nahezu einig sind sich die Grünen lediglich in der Einschätzung, daß harte Zeiten auf sie zukommen. Das Zusammenrücken von SPD und Union in der Deutschlandpolitik, das Konturen einer großen Koaltion ahnen läßt, sei die „Beerdigungsstunde für Rot-Grün“, gibt sich Pressesprecher Franz Stänner keinen Illusionen hin. Die Grünen müßten die „Rolle der konstruktiven Opposition übernehmen“, sieht auch Realo Knapp die einzige Chance in einem einig Parlament. Dafür aber, so meinen zumindest etliche Fraktionäre, fehlen bei den Grünen Personen wie Strukturen. Der Bundesvorstand der Partei, der sich derzeit zu Gesprächen mit der Opposition in der DDR aufhält, wird auf diese Fragen bald antworten können. Für das kommende Wochenende hat er sich eine Klausurtagung verordnet.

Gerd Nowakowski, Bonn

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