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„Wir spielen jetzt mal Parlament“

■ Langeweile auf den Abgeordnetenstühlen / Statt Meinungsstreit - Aufgewärmtes von gestern

Der ahnungslose Bürgerschafts besucher mochte sich gestern wohl gewundert haben: Im Plenarsaal des Bremer Landesparlamentes tummelten sich 18 bis 20jährige Männer und Frauen auf der weinroten Auslegeware, die statt diätenfinanzierter Dünnsohlen ausnahmsweise gummierte AdiPus ertragen mußte, saßen dortselbst mit ernsten Mienen an den Tischen und traten mit gewichtigen Schritten vor die Mikrophone, durch die normalerweise die Abgeordneten ihren Worten den nötigen akustischen

Druck verleihen.

Es war kein Jungbrunnen, der den gewählten Volksvertretern aufblühende Adoleszenz beschert hatte. SchülerInnen des Schulzentrums Holter Feld, des Kippenberg-Gymnasiums und des Schulzentrums Huchting übernahmen in einem „Schülerforum“ die „Sitze“ der Abgeordneten. Rede und Antwort standen ihnen Mitglieder aller Landtagsfraktionen, die ihrerseits für diesen Tag die „Senatorensitze“ im Parlament erklimmen durften. Das Präsidium blieb authentisch: Dieter Klink saß wie immer mittig erhöht, und wurde als emsiger Redeglockenschwinger von seiner gewählten Vertreterin Leinemann abgelöst: Business as usual mit Haus- und Hackordnung.

Um das Spiel der Großen möglichst authentisch zu gestalten, gab es einleitend erst einmal „Verfahrensregeln für den Ablauf der Sitzung“. Das Wort ergreifen darf nur, wem das Wort erteilt ist, gefragt werden durfte nur, was auf den vorher eingereichten Zetteln stand. Und zwar in der angemeldeten Reihenfolge. Und auch das kannten die SchülerInnen schon: Wortmeldungen sind der Versammlungsleitung anzuzeigen.

Für die Abgeordneten gab es ebenfalls Spielregeln: die maximale Redezeit einer Fraktion pro Frage betrug drei Minuten, wurde die Zeit überschritten, folgte Zeitabzug bei der nächsten Frage. (Gehe nicht über Los, ziehe nicht DM 4.000 ein.) Nach der

Hauptfrage blieb Raum für Zusatzfragen (Du hast in einem Schönheits-Wettbewerb gewonnen, stelle eine Zusatzfrage oder rette dich ans Buffet.) Antwortzeit für die Abgeordneten: eine Minute, und für den Fall, daß es mal brenzlig werden sollte, galt eine Sonderregel: Die Versammlungsleitung kann die Zahl der Zusatzfragen beschränken. Das Nord-Süd -Forum Bremen hatte zum zweiten Mal ein solches Schülerforum initiiert. Im Unterricht waren die einzelnen Fragen (entlang des Lehrplans) erarbeitet, ausgewählt und thematisch vorbereitet worden. Südafrika und Apartheid, Rüstungsexporte, Asylrecht, Asylpraxis und Ökologie lernten die SchülerInnen so aus der Sicht der PolitikerInnen kennen. Enttäuscht äußerte sich ein Schüler in der Pause: „Die sagen ja alle das Gleiche.“

Der Veranstaltung haftete von Beginn der pädagogische Eifer ihrer Organisatoren an. Videobe

wehrt hockten die jeweiligen Kursleiter auf den Zuschauerrängen und hielten den Auftritt ihrer Kids auf Magnetband fest. In der Pause klebten die Pädagogen wie Kletten an ihren Schützlingen, um die freie Meinungsäußerung der heranwachsenden Demokraten mit schützender Hand zu verfolgen. Eine Diskussion kam während des ganzen Vormittags nicht zustande. Die Grüne Abgeordnete Elisabeth Hackstein: „Die Struktur hier in diesem Parlament ist nicht sehr kommunikationsfördernd. Mit den SchülerInnen haben wir heute das gleiche Problem wie an jedem Tag in diesem Haus: Vorne sitzen die Abgeordneten, davor die SchülerInnen, eine Auseinandersetzung findet nicht statt.“ Eine „offenere Gestaltung“ wünschte sich auch der FDP-Abgeordnete Harald Neujahr. Es sei etwas schwierig, angesichts der aktuellen Ereignisse auf einem Randthema zu beharren. ma

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