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Wenn der Bischof mit dem General...

■ Oldenburger Evangelisch-Lutherische Kirche verhinderte traditionelle Erinnerung an die Reichspogromnacht

Auf die Idee, sich am Judengang, der Erinnerung an den barbarischen Akt des 10.11.1938, zu beteiligen, würde Wilhelm Sievers nicht kommen. „Meine Aufgabe“, so pflegt der Bischof der Evangelisch - Lutherischen Kirche in Oldenburg zu sagen, „ist es, die Kontinuität des christlich-jüdischen Dialogs zu führen“. Das tut er mit Vorliebe in Form theologischer Diskurse an Orten fernab historischer Bedeutung. Akte des demonstrativen Erinnerns dagegen an die jüdischen Schicksale im Nazi-Deutschland liegen ihm so gar nicht. Und wenn ihn das Gefühl beschleicht, jemand trete ihm mit einem solchen Anliegen zu nahe, kann er ganz fuchsteufelswild werden. „Es kann nicht angehen, daß mir ein Stadtrat diktieren will, mit wem und wann ich mich versammeln soll. Jetzt haben sie das in der DDR gerade abgeschafft und nun wollen das einige hier wieder einführen“ polterte der Kirchenfürst gegen den Oldenburgischen Kulturdezernenten Ekkehard Seeber. Seeber (SPD), der diese Tradition des Judenganges mitbetrieben hat, wird derzeit von einem städtischen Dreigestirn zum Prügelknaben aufgebaut. Klerus (Bischof Sievers), Militär (Kommandeur der 11. Panzergrenadierdivision, Generalmajor Senff) und Obrigkeit (Oberstadtdirektor Wandscher) nehmen ihm übel, daß er einer Einladung der Bundeswehr zu einer „kirchenmusikalischen Andacht“ in die zentrale Kirche Oldenburgs, die Lambertikirche, mit Begründung ferngeblieben ist. Am 15.11 schrieb Generalmajor Senff an Oberstadtdirektor Wandscher:

„... bin ich verwundert und befremdet zugleich, daß mir ein Repräsentant der Verwaltung unter dem Kopf der Stadt Oldenburg, der Oberstadtdirektor, massive Vorhaltungen hinsichtlich meines Urteilsvermögens, meines Geschichtsbewußtseins und meiner Führungsqualitäten macht.“ Was den Major auf die Palme und Wandscher eilfertig zum schriftlichen Kotau („bitte ich herzlich um die Fortsetzung des guten Verhältnisses“) brachte, war Seebers Hinweis auf die mangelnde Feinfühligkeit der Bundeswehr. Denn das Konzert des Heeresmusikkorps 11, bei dem Bischof Sievers eine kurze Predigt hielt und Stücke des Hitlerschen Reichskammermusikpräsidenten Richard Strauß gespielt wurden, fand am Abend des 9. November statt. „Der 9. und 10. November ist in unserer Geschichte gekennzeichnet durch den offiziellen Staatspogrom der Reichskristallnacht. Ihre Einladung“, so Seeber in seinem Absagebrief an den Generalmajor, „hat mich befremdet und nachdenklich gemacht. Ich hätte es begrüßt, wenn der 9. November dem Gedenken, verbunden mit Konsequenzen für heute, vorbehalten wäre, und keine musikalische Andacht der 11. Panzergrenadierdivision in der Lambertikirche stattgefunden hätte. Dafür wäre sicher auch jeder andere Tag im Jahr möglich gewesen.“

Doch die Terminierung scheint kein Zufall gewesen zu sein. Noch am 10.11 des vergangenen Jahres, als Judengang und ökumenischer Gottesdienst in der Lambertikirche zu einer eindrucksvollen antifaschistischen

Aktion geraten waren, holte sich Seeber vom Bischof das Einverständnis, im nächsten Jahr am 9.11 wieder in der Kirche zu sein. Mitte Dezember beschloß der Rat der Stadt auf Antrag der Grünen einstimmig, dem Veranstalterkreis für den Judengang beizutreten und demonstrierte damit das gemeinsame Anliegen aller Fraktionen, öffentlich und an exponierter Stelle (Lambertikirche) der Schreckensnacht 1938 zu erinnern. Als Seeber, städtischer Abgesandter im Vorbereitungskreis, sich vom Bischof am 9.Mai nochmals bestätigen lassen wollte, daß der ökumenische Gottesdienst am 9.11.89 in der Lambertikirche stattfindet, kam post

wendend die Absage. Der Termin sei schon vergeben, teilte der Stellvertreter Gottes mit, die Bundeswehr spiele dort. „Entweder vorsätzlich oder fahrlässig“, habe die Kirche diese Unsensibilität begangen, sagt der Kulturdezernent heute. An die Bundeswehr, so war dort auf Nachfrage zu erfahren, sei die Kirche herangetreten mit der Bitte, doch ein Konzert in der Lambertikirche zu veranstalten. Auch das Datum sei ihnen angedient worden, „da haben wir uns zunächst nichts dabei gedacht“.

Wenn es richtig ist, daß die Kirchenleitung die Bundeswehr gebeten hat, doch am 9.11 zu spielen, um einen erneuten Got

tesdienst zum Gedenken an die Reichspogromnacht zu verhindern, dann käme nur einer als „Drahtzieher“ in Frage. Klaus Dede, 1981 Initiator des Judengangs in Oldenburg, spricht in seinem gestrigen Kirchenaustrittsschreiben an Bischof Sievers den Verdacht, den viele hegen, aus: “ ... bleibt eigentlich nur einer übrig, der ein Interesse hatte, den ökumenischen Gottesdienst in Lamberti zu verhindern; der über die notwendigen guten Kontakte zum Kommandeur der 11. Panzergrenadierdivision verfügte; und der den Zugriff (über das 'Kanzelrecht‘) zur Lambertikirche hatte: Sie!“

Andreas Hoetzel

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